Im westlichen Stadtteil Walle positioniert sich das überparteiliche Bündnis “AfD Büro? Nirgendwo!” mit Postern und Protestaktionen gegen das lokale AfD-Büro.
„Also, wir wollen lieber kein AfD-Büro in Walle! Und anderswo auch nicht.“ Ein halb zerrissener Sticker mit dieser Aufschrift klebt auf dem gelben Postbriefkasten an der Ecke Vegesacker Straße/Helgolander Straße im Bremer Stadtteil Walle.
An genau dieser Kreuzung stand an einem sonnigen Juniwochenende letzten Jahres eine große Plakatwand mit dem gleichen Spruch. Auf dem Rücken eines PKW-Anhängers reihte sie sich damals neben die Flohmarktstände, Bühnen und Infotische des Waller Stadtteilfests. Im bunten Treiben verteilten Leute vor dem Autohänger Flugblätter an die flanierenden Passant*innen und händigten Filzstifte für Unterschriften auf der Plakatwand aus. Freudig übersäten tausende von Besucher*innen die Wand mit Unterschriften und viele nahmen die Flyer entgegen.
Die wie hastig ausgedruckt wirkenden Flyer stellten die Gruppe als einen überparteilichen Zusammenschluss von Waller*innen vor. Diese positionierten sich darin dagegen, dass die Alternative für Deutschland (AfD) am Ende der Straße ein Parteibüro eröffnet habe. Knackpunkt sei, dass es um den ultrarechten AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz gehe. Dieser beschäftige für das Büro wiederum bekannte Mitglieder der rechtsradikalen „Identitären Bewegung“ (IB). Auf dem Flyer heißt es dazu: „Walle ist ein Stadtteil, in dem Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen und mit unterschiedlichen Lebensstilen gut zusammen leben. Wir wenden uns gegen jede Form von menschenfeindlicher Hetze und lehnen deshalb den Versuch der AfD, im Stadtteil Walle ein Büro zu eröffnen, entschieden ab.“
Das Hauptziel sei es, ein Zeichen zu setzen und sichtbar zu machen, dass die AfD in der Nachbarschaft nicht willkommen sei, sagte ein Beteiligter. Die Gruppe bestehe aus in Walle und der unmittelbaren Nachbarschaft ansässigen Leute. Diese seien in einer Kneipe auf die Eröffnung des AfD-Büros zu sprechen gekommen. „Vor unserer Haustür, haben wir gesagt, da muss man doch was unternehmen.“
Dem Verlauf der Helgolander Straße folgend ziehen alle paar Häuser schwarz-weiße Poster in den Fenstern und an den Türen vorbei: „Also, wir wollen lieber kein AfD-Büro in Walle! Und anderswo auch nicht.“ Die Gruppe nennt sich inzwischen „AfD-Büro? Nirgendwo!“ und Teil davon sind Politiker*innen und Mitglieder unterschiedlicher Parteien des linkspolitischen Spektrums genauso wie parteilose Nachbar*innen. Darunter sind viele ältere, mittelalte und ein paar jüngere Leute ab Mitte 20. Allen gemein ist ihr Wohnsitz in Walle, viele in Nachbarschaft zum AfD-Büro. Sie organisieren seit der spontanen Unterschriftenaktion auf dem Waller Stadtteilfest ab und zu kleine Protestveranstaltungen. Die Poster an manchen Fenstern und Türen sowie die Sticker an einigen Briefkästen und Laternenpfählen sind im Straßenbild der Nachbarschaft präsent. Sie verleihen dem Protest über die einzelnen Aktionen hinaus eine gewisse Kontinuität.
Das AfD-Büro selbst befindet sich in einem unauffälligen Reihenhaus am Ende der Helgolander Straße. Es fehlen Schilder, die das Parteibüro klar und sichtbar als solches ausweisen. Nur diejenigen, die schon Bescheid wissen, sehen die kleinen Aufschriften auf Klingelschild und Briefkasten. „Dass Frank Magnitz hier ein Büro eröffnet hat, wissen wir aus einem Beitrag von Buten und Binnen. Die haben sich wiederum auf einen Bericht von AfD Watch Bremen berufen“, hatte der Herr auf dem Straßenfest erklärt.
Außer einem kleinen Sticker gegen die IB an einem Verkehrsschild auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist an diesem grauen Märztag auch der bisherige Protest nicht zu sehen: auf den ersten Blick handelt es sich um gewöhnliche, menschenleere Bürgersteige einer ruhigen Nebenstraße.
Dabei spielten sich hier seit dem Sommer mehrere kleine Protestaktionen ab. So lud der Flyer vom Waller Stadtteilfest zu einem sogenannten Kundgebungsfrühstück ein. „Die Idee haben wir von den politischen Freiluftfrühstücken auf dem Dedesdorfer Platz hier hergetragen. Das hat in Walle quasi Tradition,“ sagte ein Mitgründer des Bündnisses dazu. Mit Klappstühlen und Kaffeekannen bepackt versammelten sich am darauffolgenden Juniwochenende um die 200 Leute. Der PKW-Anhänger mit der Unterschriftenwand parkte gut sichtbar vor dem Büro. Darum herum verteilten sich Familien mit Kindern, eine Gruppe Student*innen, junge und alte Nachbar*innen sowie eine handvoll Bremer Politiker*innen auf den Gehwegen. Weil es so viele Teilnehmende waren, blockierte die Polizei mit ihrem Wagen kurzerhand die Straße, um sie als Frühstücksfläche freizugeben. Zwei Leute spielten Musik, Kinder malten oder rannten herum und die verschiedenen Grüppchen unterhielten sich auf Picknickdecken. „Die AfD um die Ecke zu haben, find‘ ich richtig kacke. Dass sich die Nachbarschaft hier organisiert, um gemeinsam ein Zeichen dagegen zu setzen, ist deshalb total gut.“, sagte eine junge Frühstückerin.
Vom ersten Stock des Reihenhauses aus filmte unterdessen jemand das Geschehen auf der Straße. Frank Magnitz hatte sich nach dem Waller Stadtteilfest mit einem Flugblatt an die Einwohner*innen der umliegenden Häuser gewandt. Darin warnte er sie vor den „linken Gesinnungsterroristen, die auch vor Mord nicht zurückschrecken“. Der vermeintlichen Gefahr zum Trotz kamen Herr Magnitz sowie Gerald Höns, AfD-Vertreter im Waller Beirat, damals aus dem Haus und bahnten sich einen Weg zwischen den Picknickdecken. Vermutlich wollten sie sich ein Bild von der Lage machen.
Der Parkplatz vor dem AfD-Büro ist heute leer. Die Parkdauer für Anhänger im öffentlichen Raum beläuft sich auf wenige Wochen. Das Bündnis transportiert den Unterschriften-Anhänger daher seit dem Sommer von Parkplatz zu Parkplatz. Hinter der Tour steht auch die Absicht, den Protest gegen das AfD-Büro über diese unmittelbare Örtlichkeit hinaus sichtbar zu machen, jenseits der Helgolander Straße und Stadtteilgrenzen. Das Bündnis organisierte beispielsweise weitere Unterschriftenaktionen mit dem Anhänger auf Stadtteilfesten in der Überseestadt und in Gröpelingen.
Das „AfD-Büro? Nirgendwo!“-Bündnis bespielt den hiesigen Bürgersteig aber auch, während der originale Anhänger andernorts verweilt. Unter anderem organisierten sie noch weitere Kundgebungsfrühstücke im Juli und Dezember.
Das winterliche Kundgebungsfrühstück fand einige Meter weiter an der Straßenmündung zur Waller Heerstraße statt. Diesmal war die Gruppe kleiner und bestand größtenteils aus Leuten mittleren Alters und alten Menschen. Darunter befanden sich auch bekannte Waller Gesichter: Ladeninhaber*innen und Angestellte, eine Barkeeperin, Beiratsmitglieder, Mitarbeiter*innen von Waller Kultureinrichtungen. Am Rand der Gruppe stand ein Lastenrad mit einer kleineren Unterschriften-Plakatwand und einem großen roten Holzanker. Auch diese Konstruktion verkündete wieder: „Also, wir wollen lieber kein AfD-Büro in Walle! Und anderswo auch nicht.“ Der Anker verbildlichte dabei, wer mit „wir“ gemeint ist: Anker dienen als gängiges Symbol für die Einwohnerschaft des ehemaligen Hafenarbeiter-Stadtteils Walle. Immer wieder hielten unterschiedliche Passant*innen der Waller Heerstraße an, um kurz zu unterschreiben.
Die Teilnehmenden gruppierten sich um eine Musikerin, die mit Weihnachtsmannmütze, Gitarre und Notenständer politische Lieder sang. Mal sang sie alleine, mal stimmten die umher stehenden Leute in Lieder wie „Bella Ciao“ und „Die Gedanken Sind Frei“ ein. Gegen die Kälte wippend hielten viele das Notenheft in Händen, andere dampfende Becher mit Kaffee oder Tee, und selbstgebackenen Kuchen in Servietten. Das alles stand auf einem kleinen Tisch am Rand des Parkplatzes zur freien Verfügung.
Die Notenhefte entpuppten sich als erweiterte Flyer des Bündnisses. Die Vorderseite stellte in Kurzform die Gruppe, ihre Ziele und Aktivitäten, ihre Einwände gegen die AfD sowie Kontaktdaten und Beteiligungsmöglichkeiten vor. Daneben gab es auch überarbeitete Versionen eines regulären Flyers, Sticker sowie einen Stapel Bastelbögen. Letztere sind bestimmt für kleine Papierversionen des Unterschriften-Anhängers. „Damit kann man auch auf dem Schreibtisch ein Zeichen setzen“, erklärte eine Beteiligte.
Um diese und andere Aktionen zu planen, trifft sich das Bündnis an verschiedenen Waller Orten – von Bars über Ateliers bis kulturellen Einrichtungen. Unter anderen daran wird deutlich, wie stark das Bündnis im Stadtteil vernetzt ist.
Seit dem Waller Stadtteilfest entwickelte sich das eigentlich informelle Bündnis zu einer hoch organisierten Gruppe. Ungefähr 20 ehrenamtliche Leute treffen sich monatlich in großer Runde. Dort beraten und organisieren sie sich abends in halb ernstem, halb scherzhaftem Ton. Anhand von vorab festgelegten Tagesordnungspunkten diskutieren sie aktuell anstehende Themen, geplante Veranstaltungen, Ideen für Infomaterial, Vernetzung mit anderen politischen Gruppen und die Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook. Ein Dauerthema ist der große Unterschriften-Anhänger. Allein hierbei handelt es sich um einen hohen logistischen Aufwand: dahinter steht die Organisation von Zwischenparkplätzen und seiner Präsenz bei Stadtteilfesten, Schichten für die Unterschriftenaktionen, sein Transport von Ort zu Ort sowie seine Instandhaltung.
Der Anhänger mit seinen 5000 Unterschriften ist auch immer noch das Kernstück des Protests, materiell und symbolisch. Das verdeutlicht sich unter anderem in den vielen Formulierungen mit Fahrzeugbezügen. So steht etwa in einem Facebookpost vom 22.11.18, dass sich das Waller Blaumeier-Atelier mit dem Bündnis solidarisiere, weil es einen Stellplatz für den Anhänger zur Verfügung gestellt habe. Außerdem posteten sie am 17.11.18: „Vielen Dank an ver.di Bezirk Bremen-Nordniedersachsen für die Unterstützung durch die Übernahme einer Reifenpatenschaft für unseren Anhänger!“
Für das Frühjahr und den Sommer 2019 sind zahlreiche Veranstaltungen und Projekte mit und ohne Anhänger geplant. Neue und bekannte Formate werden sich unmittelbar in Walle abspielen. Bis dahin verraten die Poster und Sticker im Straßenbild, dass der Protest anhält. Auch an der Ecke, an der die Helgolander Straße in die Waller Heerstraße mündet, klebt dem ersten Anschein nach nur ein einzelner kleiner Sticker des Bündnisses. Dann fängt auf der anderen Seite der breiten Waller Heerstraße das oberste Fenster eines vielstöckigen Hauses den Blick. Auf großformatigem Papier setzen sich dort die Worte „NO AFD“ zusammen.