{"id":2152,"date":"2021-08-05T13:15:35","date_gmt":"2021-08-05T12:15:35","guid":{"rendered":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/?p=2152"},"modified":"2021-08-05T13:15:36","modified_gmt":"2021-08-05T12:15:36","slug":"das-fusballstadion-als-raum-des-politischen-protest","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/2021\/08\/05\/das-fusballstadion-als-raum-des-politischen-protest\/","title":{"rendered":"Das Fu\u00dfballstadion als Raum des politischen Protest"},"content":{"rendered":"\n

Das Fu\u00dfballstadion als Raum von politischen Konflikten zu bezeichnen, wirkt wahrscheinlich auf den ersten Blick ein wenig unverst\u00e4ndlich. Gerade, wenn man den Sport in den Medien verfolgt, zeigt sich zumeist ein Hochglanzprodukt. Der Fu\u00dfball wird immer professioneller und immer st\u00e4rker kapitalisiert, so dass Fans zumeist zu einer Randerscheinung werden. Medial treten die Fans nur in Erscheinung, wenn es zu gewaltt\u00e4tigen Auseinandersetzung zwischen verschieden Lagern kommt, Sachsch\u00e4den wie beispielsweise an Z\u00fcgen entstehen oder Pyrotechnik im Stadion gez\u00fcndet wird. Doch zeigt diese, vorwiegend nur sehr oberfl\u00e4chliche Berichterstattung die Intentionen hinter den Konflikten zumeist nicht auf. Die Vermutung liegt nahe, dass Konflikte zwischen Gruppierungen verschiedener Vereine, aber auch intern im Vereinsumfeld politisch bedingt oder zumindest dadurch katalysiert sein k\u00f6nnen, gerade wenn man von der Annahme ausgeht, dass Fu\u00dfballfans ein Spiegel der Gesellschaft darstellen. Im folgenden Beitrag m\u00f6chte ich die Frage kl\u00e4ren, \u201eIn welcher Form das Weserstadion einen Raum rechts\/links politischer Konflikte zwischen Fu\u00dfballfans darstellt?\u201c. Dabei wird zun\u00e4chst der Raum des Stadions, seine Rolle definiert und die dort handelnden Akteure vorgestellt. Anschlie\u00dfend wird in einer Fallanalyse der Fanszene Bremens aufgezeigt, ob und wenn ja in welcher Form solche Konflikte stattgefunden haben.<\/p>\n\n\n\n

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Was sind eigentlich politische R\u00e4ume?<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Als erstes stellt sich die Frage, was ist eigentlich ein Raum. Hier gibt es ganz verschiedene Ans\u00e4tze diesen zu definieren oder einzugrenzen. Eine Richtung, aus dem ich mich dem Stadion als Raum ann\u00e4hern m\u00f6chte, ist die der Heterotopie nach Foucault. In seiner Ausarbeitung \u201eAndere R\u00e4ume\u201c stellt er sein Verst\u00e4ndnis von R\u00e4umlichkeit dar. Er definiert diesen als Raum, der \u201ein Verbindung und dennoch im Widerspruch zu allen anderen Orten\u201c (Foucault 1967: 320) auftritt. Somit gibt er diesen Heterotopien eine gewisse Sonderrolle als Raum, die ich auch dem Stadion zuschreiben w\u00fcrde, da das Stadion viel emotional aufgeladener ist, als die meisten `normalen` R\u00e4ume in denen sich Menschen bewegen. Heterotopien werden bei Foucault durch sechs Grunds\u00e4tze definiert, die im Folgenden kurz genannt und auf das Stadion als Raum angewandt werden. <\/p>\n\n\n\n

Der erste Grundsatz ist der, dass jede Kultur seine Heterotopie erzeugt, die aber wiederum nicht universell gilt (Foucault 1967: 321). Die Kultur, die das Stadion erzeugt, ist die Sportkultur. Hier kann unterschieden werden zwischen Stadien, die prim\u00e4r als Raum des Sportes dienen und denen, die eher als Ort der Unterhaltung der Massen (Gesellschaft) gesehen werden k\u00f6nnen, was sich in der verschiedenen Architektur des Raumes \u00e4u\u00dfert( Schr\u00f6er 2019: 228-229. Zweites ist f\u00fcr uns hier von Bedeutung. <\/p>\n\n\n\n

Der zweite Grundsatz ist die Ver\u00e4nderung der Heterotopie durch die Gesellschaft, die die Form und Nutzung des Raumes anpasst (Foucault 1967: 322). Dies l\u00e4sst sich beim Fu\u00dfballstadion als Raum in der zeitlichen Ver\u00e4nderung und Kommerzialisierung festmachen. Vom `Volkssport` Fu\u00dfball zeigt sich eine immer st\u00e4rkere Kommerzialisierung und steigender Eventcharakter.  Dies spiegelt sich in der Architektur des Stadions durch einen Zuwachs von Sitzpl\u00e4tzen und VIP-Tickets wieder, die zu einem R\u00fcckgang der Stehplatztrib\u00fcnen gef\u00fchrt haben (Schr\u00f6er 2019: 229). <\/p>\n\n\n\n

Der dritte Punkt besagt, dass Heterotopien mehrere R\u00e4ume vereinen k\u00f6nnen (Foucault 1967: 324). Durch verschiedene Raumnutzungsgedanken des Stadions zeigt sich auch eine Verbindung verschiedener R\u00e4ume auf. So kann das Stadion als eine Verbindung des Raumes des Sport und des Raumes des Festes gesehen werden (Gumbrecht 1998: 218, Bausenwein 1995: 462). <\/p>\n\n\n\n

Im vierten Grundsatz setzt Foucault Heterotopien zumeist in Verbindung mit zeitlichen Br\u00fcchen, die nur funktionieren, wenn die Personen \u201eeinen absoluten  Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben\u201c (Foucault 1967:324). Dieser Bruch geschieht beim Stadion durch die starke Divergenz zum \u201aAllt\u00e4glichen\u2018, das eine Art Paralleluniversum zum \u201anormalen\u2018 Leben aufzeigt, in der auch gesellschaftliche Reglementierungen bis zu gewissen Punkten wegfallen und eine Form von Ungewissheit und Unplanbarkeit beinhaltet (Meyer 2006: 85). <\/p>\n\n\n\n

Der f\u00fcnfte Punkt besagt, \u201eHeterotopien setzen ein System der \u00d6ffnung und der Schlie\u00dfung voraus\u201c (Foucault 1967:325). Dies erf\u00fcllt das Stadion durch die reine Nutzung an Spieltagen, wo sich ein starker Kontrast zu der sonstigen Nichtnutzung darstellt. <\/p>\n\n\n\n

Im sechsten und letzten Punkt schreibt Foucault, dass Heterotopien eine Funktion einnehmen, die sich zwischen den Extremen der Illusion und des realen Raumes entfaltet (Foucault 1967: 326). <\/p>\n\n\n\n

\u201eEntweder haben sie einen Illusionsraum zu schaffen, der den gesamten Realraum, alle Platzierungen, in die das menschliche Leben gesperrt ist, als noch illusorischer denunziert. […] Oder man schafft einen anderen Raum, einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgf\u00e4ltig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, mi\u00dfraten und wirr ist.\u201c (Foucault 1967: 326). Bei diesem Punkt ist es schwer, sich auf eines der genannten Extreme festzulegen, da das Stadion sowohl ein illusorischer Raum ist, der Freiheiten erm\u00f6glicht, als auch wiederum eine gewisse Ordnung hervorbringt, wie beispielsweise Spiell\u00e4nge oder Sitzpl\u00e4tze, die diesem Ort auch eine gewisse Form von Ordnung geben. Es zeigt sich das das Stadion die meisten Definitionskriterien einer Heterotopie erf\u00fcllt. Auch wenn diese Definition auf den ersten Blick f\u00fcr die Analyse ein wenig \u00fcberzogen scheint, stellt sie doch eine Sonderstellung des Stadions dar. Grade diese Sonderstellung kann zu Unterscheidungen zwischen `normalen` politischen Konflikten und politischen Konflikten zwischen Fu\u00dfballfans f\u00fchren und dient somit auch einer Abgrenzung. <\/p>\n\n\n\n

Ausgew\u00e4hlte Akteure im Stadion: <\/strong><\/p>\n\n\n\n

Im Folgenden werden die f\u00fcr die Beantwortung der Frage wichtigen Akteure genannt und kurz dargestellt, wie diese im Fu\u00dfball, aber auch im politischen Kontext agieren k\u00f6nnen. <\/p>\n\n\n\n

Fanszene: <\/strong><\/p>\n\n\n\n

Die Fanszene muss in verschiedene Subszenen differenziert werden, da diese auch verschieden im Raum agieren. F\u00fcr diese Differenzierung wird \u00fcblicherweise die von der Polizei bei Sportveranstaltungen genutzte Kategorisierung in A, B und C Fans genutzt. Dabei steht Kategorie A f\u00fcr friedliche Fans, Kategorie B f\u00fcr situativ gewaltbereite Fans, gr\u00f6\u00dftenteils Anh\u00e4nger der Ultrakultur und Kategorie C f\u00fcr gewaltsuchende Fans, zumeist Hooligans (Claus 2017: 11-13).  Diese Gruppen haben auch verschiedene Handlungsressourcen. So ist Gruppe A, obwohl sie ein Gro\u00dfteil der Zuschauer\/innen im Stadion bildet, in Zusammenhang mit der Forschungsfrage als nur sehr passiv anzusehen. Sie stehen zumeist nicht in der Fankurve und sehen die Leistung der Mannschaft als Kriterium f\u00fcr den Stadionbesuch. Da der Besuch von Spielen zumeist in unorganisierten Kleingruppen stattfindet, unterstelle ich dieser Gruppe kein aktives Handeln in politischen Konflikten. Aber trotzdem muss man ber\u00fccksichtigen, dass durch die gro\u00dfen Massen eine Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Handlungen geschehen kann (Heitmeyer\/Peter 1988:32). <\/p>\n\n\n\n

Gruppe B, zu der vor allem die Ultragruppierungen der Vereine z\u00e4hlen, treten zumeist als Gruppe in den Stehplatzbereichen der Stadien auf. Sie sehen in sich das Monopol in der akustischen und visuellen Unterst\u00fctzung des Vereins. Dementsprechend hat diese Gruppe auch Einflussm\u00f6glichkeiten. Durch Zaunfahnen, Fahnen o.\u00e4. k\u00f6nnen Gruppennamen oder andere Botschaften gezeigt werden. F\u00fcr bestimmte Anl\u00e4sse werden Choreografien hergestellt, die sowohl Stadtbezug als auch politische Forderungen oder Standpunkte thematisieren. Tempor\u00e4re Spruchb\u00e4nder bieten die M\u00f6glichkeit, auf aktuelle Themen hinzuweisen. Au\u00dferdem werden durch Aufkleber und Graffiti in und um das Stadion Gebiete markiert und Positionen aufgezeigt. Der Vors\u00e4nger hat die M\u00f6glichkeit, \u00fcber das Megaphon mit dem Stadion zu kommunizieren (Thalheim 2019: 52-53).  <\/p>\n\n\n\n