{"id":2131,"date":"2021-05-04T20:14:11","date_gmt":"2021-05-04T19:14:11","guid":{"rendered":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/?p=2131"},"modified":"2021-05-12T13:38:28","modified_gmt":"2021-05-12T12:38:28","slug":"jetzt-haben-wir-die-faxen-dicke-jetzt-schlagen-wir-zuruck","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/2021\/05\/04\/jetzt-haben-wir-die-faxen-dicke-jetzt-schlagen-wir-zuruck\/","title":{"rendered":"\u201eJetzt haben wir die Faxen dicke. Jetzt schlagen wir zur\u00fcck.\u201c"},"content":{"rendered":"\n

Von Ulrike Zepke und Gunnar Bantz<\/p>\n\n\n\n

Was hat die Menschen 1980 in Bremen auf die Stra\u00dfe getrieben, um gegen das \u00f6ffentliche Rekrutengel\u00f6bnis im Weserstadion zu protestieren? F\u00fcr viele Autonome zum Mythos erwachsen, in der b\u00fcrgerlichen Presse als nie dagewesene Gewalt betitelt. Der 06. Mai 1980 in Bremen gilt mitunter als Indiz der Ver\u00e4nderung der sozialen Bewegungen Anfang der 80er Jahre. Vier Menschen erz\u00e4hlen von ihren Erlebnissen, Gedanken und Motivationen vor und w\u00e4hrend der Proteste.<\/em><\/p>\n\n\n\n

Der 06. Mai 1980 in Bremen. F\u00fcr Einige sollte es ein gro\u00dfes Fest werden, f\u00fcr andere war der Tag ein Akt der Militarisierung und ein Tag, an dem man sich nichts mehr gefallen l\u00e4sst. F\u00fcr machen wurde der Tag zur Katastrophe, f\u00fcr andere zum Mythos. Die Rede ist vom ersten \u00f6ffentlichen Rekrutengel\u00f6bnis der Bundeswehr, welches als Gro\u00dfveranstaltung au\u00dferhalb einer Kaserne stattfinden. Der Anlass war der 25. Jahrestag des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in die NATO. 1200 Soldaten sollten mit Blasmusik, Feierlichkeiten und gro\u00dfem Zapfenstreich ihr Gel\u00f6bnis ablegen. Der damalige B\u00fcrgermeister Koschnick traf mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Apel die Vereinbarung, dass das Weserstadion der Austragungsort dieses Milit\u00e4rspektakels sein sollte. Die Inkenntnissetzung des Bremer Senats folgte erst deutlich sp\u00e4ter und traf \u2013 mindestens bei Teilen der SPD \u2013 auf deutliche Abneigung. So kommentiert der eingesetzte Untersuchungsausschuss 1980: \u201eDer Landesvorstand war nur nach massivem Einwirken des Parteivorstandes und R\u00fccktrittsdrohungen des B\u00fcrgermeisters zu einem Beschlu\u00df bereit.\u201c[1]<\/a> Neben dem geringen Widerstand in der parlamentarischen Politik formierte sich ein breites zivilgesellschaftliches Aktionsb\u00fcndnis, welches zu Protesten aufrief. Zwischen 10.000 \u2013 15.000 Menschen gingen an diesem Tag auf die Stra\u00dfe, um ihrer Ablehnung gegen\u00fcber dem Militarismus Ausdruck zu verleihen.[2]<\/a> Und so wurde der Tag zu einem Fest etwas anderer Art \u2013 statt Konfetti regnete es Steine, statt Schampus wurden Molotow-Cocktails gereicht.<\/p>\n\n\n\n

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Abb. 1: Copyright Thomas Grziwa. Nutzung in diesem Text mit freundlicher Erlaubnis des Urhebers.<\/figcaption><\/figure><\/div>\n\n\n\n

Die \u201eWiedergeburt\u201c der Bremer Friedensbewegung<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Das feierlich angelegte Gel\u00f6bnis fiel, laut dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge, mitten in die erste Phase der \u201eNeuen Friedensbewegung\u201c. Besonders der NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979, welcher unteranderem die Stationierung von Raketen, die mit Atomsprengk\u00f6rpern best\u00fcckt waren und Marschflugk\u00f6rpern in Westeuropa ank\u00fcndigte, befeuerte die \u201eWiedergeburt\u201c der Bremer Friedensbewegung. Schon im Vorhinein der Ministerkonferenz in Br\u00fcssel bildete sich ein Demonstrationsb\u00fcndnis \u2013 mit vielen Akteur*innen, die am 6 Mai auch eine tragende Rolle spielen sollten \u2013 unter dem Motto \u201eBeendet das Wettr\u00fcsten! Keine neuen (atomaren) Mittelstreckenraketen! Jetzt verhandeln \u2013 abr\u00fcsten!\u201c[3]<\/a>. Aber schon in den Jahren davor bildeten sich immer mehr Proteste, die sich gegen die Aufr\u00fcstung und die Au\u00dfenpolitik Deutschlands, aber auch gegen die der damaligen Gro\u00dfm\u00e4chte USA und der Sowjetunion, richteten. So stie\u00df der Plan vom damaligen US-Pr\u00e4sidenten Jimmy Carter, auch Neutronenbomben zu bauen und einzusetzen auf heftigen Widerstand. \u201eEine Bombe, die Menschenleben t\u00f6tet, aber Sachwerte erh\u00e4lt. Das war ja der Zynismus dieser neuartigen Waffe. Das hat tausende Menschen \u2013 nicht nur in Bremen, sondern bundesweit \u2013 auf die Stra\u00dfe gebracht\u201c, erinnert sich Ekkehard Lentz \u2013 damals in der Deutschen Friedensunion (DFU), heute im Bremer Friedensforum \u2013 in einem Interview mit uns. Zu Ostern 1980 kam es zu einer Wiederaufnahme der Osterm\u00e4rsche, wobei sich die Repressionen gegen Anmelder*innen und Teilnehmende versch\u00e4rften. So trafen die Pl\u00e4ne einer feierlichen Milit\u00e4rpropaganda in Bremen auf eine breite Bewegung mit reichhaltiger Protesterfahrung und einer zivilgesellschaftlichen Verankerung, die sich bis in Kreise der regierende SPD hineinzog. Zu dieser breiten Bewegung kam eine gewisse militante Bereitschaft hinzu, die sich auch durch Erfahrungen von bisherigen Protesten und Niederlagen speiste. So erinnert sich Horst Wesemann – ehemaliger Strafverteidiger, heute in der Innendeputation \u2013 in einem Gespr\u00e4ch mit uns mit Bezug auf die Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Kalkar 1977:<\/p>\n\n\n\n

\u201eDas war ja eine der gr\u00f6\u00dften Niederlagen, die wir da mitgenommen haben. Die Demonstrationen in Kalkar, da haben wir es nicht mehr geschafft, aus Bremen rauszukommen. Wir sind so oft kontrolliert worden von der Polizei und entwaffnet worden, dass wir praktisch schon auf der A1 kurz vor Osnabr\u00fcck abbrechen mussten, weil wir gar nicht mehr nach Kalkar h\u00e4tten fahren k\u00f6nnen. Das war eine der Niederlagen, die auch mitbestimmend sind f\u00fcr unsere Stimmung damals.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Es wird deutlich, dass Bremen f\u00fcr eine Veranstaltung dieser Art kein wohlgesonnenes Pflaster war. Es entwickelte sich eine Dynamik, die den 06. Mai f\u00fcr viele zum Schl\u00fcsselereignis f\u00fcr die Entwicklung der (Bremer) Friedensbewegung machte.[4]<\/a><\/p>\n\n\n\n

Einen Tag vor der Demo war dann eigentlich wenig klar<\/em><\/p>N.N. a (1980): 23<\/cite><\/blockquote><\/figure>\n\n\n\n

Der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) wandte sich am 03. April 1980 mit einem Schreiben u.a. an die BBA (Bremer B\u00fcrgerinitiative gegen Atomanlagen), die Jusos, die Gewerkschaften, die DKP (Deutsche Kommunistische Partei), die Bremer Gr\u00fcne Liste, die Asten, die GSV (Gesamtsch\u00fcler*innenvertretung) und weitere Gruppen und Organisationen. In diesem Schreiben wurde der Vorschlag verbreitet, sich zu einer Aktionseinheit zusammenzuschlie\u00dfen, um mit einem gemeinsamen Protest das \u00f6ffentliche Rekrutengel\u00f6bnis zu verhindern.[5]<\/a> Somit startete die Protestvorbereitungen gegen die \u201eFeierlichkeiten\u201c im Weserstadion.<\/p>\n\n\n\n

Das angestrebte breite Aktionsb\u00fcndnis konnte sich jedoch nicht einigen und so pr\u00e4sentierten Aktivist*innen rund um die Gr\u00fcnen, Jusos, der DKP (Deutsche Kommunistische Partei), DFU (Deutsche Friedens Union) und christlichen Gruppen \u2013 f\u00fcr manche \u201eaus heiterem Himmel\u201c[6]<\/a> \u2013 eine weitere Aktionseinheit. Diese k\u00fcndigte an, eine alternative Demo zu organisieren, welche in einem Kulturprogramm in N\u00e4he des Weserstadions enden sollte. In dem \u00fcbriggebliebenen B\u00fcndnis, unter anderem bestehend aus KBW, BBA und den \u201eKrieg dem Krieg\u201c Gruppen gab es weiterhin Unstimmigkeiten. Die einzige Basis war: Man wolle die Veranstaltung verhindern. Aber wie? Mehrere Aktionsvorschl\u00e4ge und Ideen wurden eingebracht und diskutiert. Am Ende blieb, laut einem Erfahrungsbericht, die Anmerkung, dass sich beide Aktionsformen \u2013 in das Stadion eindringen und st\u00f6ren und alle Tore zu blockieren \u2013 ja nicht gegenseitig ausschlie\u00dfen w\u00fcrden. An der Einsch\u00e4tzung gab es Zweifel: \u201eEinen Tag vor der Demo war dann eigentlich wenig klar und man hoffte, da\u00df der Verlauf der Demo schon irgendwie in die richtige Richtung liefe.\u201c [7]<\/a><\/p>\n\n\n\n

Ein brennender Bundespr\u00e4sident, fliegende Steine und umk\u00e4mpfte Eingangstore<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Es formierten sich also 2 Demos. Die von der BBA und KBW getragene startete um 17:00 Uhr mit rund 5.000 Menschen \u2013 statt den erwarteten 2.000 \u2013 am Hauptbahnhof. Die Demo w\u00e4hlte vom Hauptbahnhof spontan eine alternative, verk\u00fcrzte Route und traf beim Goetheplatz ein, bevor die andere Demo loslief. Zusammen wurde anschlie\u00dfend durch das Ostertorviertel marschiert. Auf dem Weg wurden zwei Strohpuppen, wohl Karl Carstens und einen aufgeh\u00e4ngten General darstellend, angez\u00fcndet. Dann teilte sich die gemeinsame Demonstration kurz vor dem Weserstadion wieder auf, wobei der Demozug der BBA, KBW und den \u201eKrieg dem Krieg\u201c Gruppen zu diesem Zeitpunkt nochmal gewachsen war.[8]<\/a> Ekkehard Lentz sa\u00df damals im Lautsprecherwagen der Demonstration, die unter anderem von der DFU, den Jusos und der DKP getragen wurde. Folglich bog er mit dem einen Teil der Demo an der L\u00fcneburger Stra\u00dfe ab, um an den Weserterrassen die geplante Kundgebung abzuhalten. Diese fand auch statt, aber \u2013 so erinnert sich Lentz:<\/p>\n\n\n\n

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\u201ediese Kundgebung wurde also immer wieder durch den Polizeihubschrauber gest\u00f6rt und man hat das mitbekommen, (\u2026) dass sich da eben vor dem Weserstadion sehr viele Menschen versammelt haben und die Polizei und andere Organe da vor Ort waren. Und das hat auch eine Sogwirkung mit sich gebracht, dass immer mehr Leute von unserer Kundgebung vor den Weserterrassen direkt zum Weserstadion hingelaufen sind.\u201c<\/em><\/p>\n<\/div>\n<\/div>\n\n\n\n

Der KBW hatte ebenfalls eine Kundgebung direkt am Weserstadion angemeldet. Doch daf\u00fcr interessierte sich kaum jemand. Zielstrebig gingen einige Demonstrant*innen auf das Eingangstor zu und fingen an Steine \u2013 sp\u00e4ter auch Molotow-Cocktails \u2013 auf die hinter dem Zaun stehenden Beamten und Feldj\u00e4ger zu werfen. Ein*e Demonstrant*in kommentiert diesen Moment wie folgt: \u201eHier wurde gleichklar: Wenn diese Militaristenschau jetzt stattfindet, dann nur gegen unseren allersch\u00e4rfsten Widerstand\u201c.[9]<\/a> Um 18:15 lag der erste Bundeswehrbus brennend auf dem Osterdeich. 4-5 weitere folgten. Das Prozedere sei immer das gleiche gewesen:<\/p>\n\n\n\n

\u201eW\u00e4hrend der Auseinandersetzungen auf dem Vorplatz konnten immer noch Fahrzeuge den Osterdeich passieren. Auch Bundeswehrfahrzeuge mit hohen Offizieren, die zu dieser Feier wollten. Deshalb wurden die Fahrzeuge gestoppt, die Personen aus dem Fahrzeug rausgeholt und anschlie\u00dfend die Fahrzeuge in Brand gesteckt. Dies war entgegen den Behauptungen der Presse eine sehr kontrollierte Aktion. Es wurden n\u00e4mlich nicht blind Mollis in die Wagen geworfen, sondern die Benzinschl\u00e4uche durchgeschnitten und das auslaufende Benzin angesteckt.\u201c [10]<\/strong><\/a><\/em><\/p>\n\n\n\n

Auch Horst Wesemann sieht in der Entz\u00fcndung der Bundeswehrfahrzeuge einen kollektiven Akt, der durch die Motivation zustande kam, dass die Demonstrant*innen sich nichts mehr gefallen lie\u00dfen und genau diese Haltung auch ausdr\u00fccke sollte:<\/p>\n\n\n\n

\u201eIch sage mal, dass es am Osterdeich dann zu den brennenden Fahrzeugen gekommen ist, ist dem Umstand geschuldet, dass es offensichtlich niemanden interessiert hat, dass wir was dagegen hatten, dass diese Veranstaltung dort stattfand und weiterhin immer Leute angekarrt wurden, Prominenz und so weiter und Offiziere und \u00c4hnliches, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Das mussten wir nat\u00fcrlich in irgendeiner Form unterbinden, obwohl ich pers\u00f6nlich jetzt nicht gerade an der Entz\u00fcndung eines Fahrzeugs beteiligt war. (\u2026) Aber das war also der Ausdruck davon. Wir haben die Faxen dicke, wir lassen uns das nicht l\u00e4nger gefallen.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Die Ausschreitungen vor dem Stadion f\u00fchrten dazu, dass der Einlass nur durch Tore stattfinden konnte, die von Protestierenden und der Polizei umk\u00e4mpft waren. Eine Nachrichtensprecherin von Radio Bremen berichtet am n\u00e4chsten Tag: “Bei der Verteidigung (sic) von 1.200 Bundeswehrrekruten ist es gestern Abend zu schweren Krawallen gekommen.”[11]<\/a> Dabei handelte es sich zwar um einen Versprecher (Verteidigung statt Vereidigung), zum Geschehen des Vortages passte dieser jedoch sehr treffend. Trotz der massiven Polizeipr\u00e4senz gelang es einigen Protestierenden in das Stadion zu gelangen und dort gegen 20:30 Uhr mit Zwischenrufen die Begr\u00fc\u00dfungsrede des ehemaligen NSDAP Mitglieds und damaligen Bundespr\u00e4sidenten Karl Carstens zu st\u00f6ren.[12]<\/a> Dieser musste, ebenso wie Hans Koschnick und Hans Apel, mit einem Hubschrauber eingeflogen werden. Die gut 100 Protestierenden wurden nach und nach aus dem Stadion ger\u00e4umt. Um 22:00 Uhr endete das Programm im Weserstadion. Drau\u00dfen formierte sich ein Demonstrationszug, um einen geordneten Abgang zu sichern. Der Untersuchungsausschuss schreibt an dieser Stelle von einer anschlie\u00dfenden R\u00e4umung des Vorplatzes und des Osterdeichs mit Tr\u00e4nengas[13]<\/a>. Ein Erfahrungsbericht zeichnet ein etwas anderes Bild:<\/p>\n\n\n\n

\u201eBeim Abzug verhielten sich alle sehr diszipliniert. Alle in den vorderen Reihen bildeten Ketten und zogen sich langsam zur\u00fcck. Das war ein deutliches Zeichen: wir wollen friedlich abziehen. Auf dem Osterdeich formierte sich ein Demonstrationszug von vielen, vielen Antimilitaristen. Wir waren ersch\u00f6pft, es ging nach Hause. Weit hinter uns, noch mit Abstand vom Demozug, sahen wir wei\u00dfe Helme und Schilde. Tr\u00e4nengas brannte in unseren Augen, immer schneller kam die Kn\u00fcppelgarde n\u00e4her, Panik brach aus. Wir begriffen, da\u00df die Bullen nochmal voll zulangten. Alle rannten wie irr, einige riefen sich was zu. Ein Blick \u00fcber die Schulter: eine Reihe nach der anderen wurde zerschlagen.\u201c [14]<\/strong><\/a><\/em><\/p>\n\n\n\n

Andrea, damals 16, berichtet uns in einem Interview ebenfalls von der Situation und bezeichnet sie bez\u00fcglich des Tages als ihre pr\u00e4gendste Erinnerung:<\/p>\n\n\n\n

\u201eIch ging gerade so in die Richtung der Verdener Stra\u00dfe. Und auf einmal: Panik. Die Leute fingen an zu rennen. Vor uns fielen Menschen auf den Boden. Wir haben uns sozusagen gegen die Masse gestellt, die da kam, weil wir Angst hatten. (\u2026) Wir haben versucht, diese Menschen, die hingefallen sind zu sch\u00fctzen, sonst w\u00e4ren sie wom\u00f6glich \u00fcberrannt worden. (\u2026) Aber wir haben ja direkt am Osterdeich unser Haus und da sind ja auch Vorg\u00e4rten (\u2026) wir haben die Demonstranten rein gezerrt in den Vorgarten. Denn damals war das noch so, dass die Polizisten nicht auf dein Grundst\u00fcck durften. Wenn du dann siehst, wie vor deiner Gartenpforte drei Polizisten auf zwei Demonstranten einkn\u00fcppeln, das kriegst du nicht mehr aus dem Kopf.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Die Berichte \u00fcber die Ereignisse an diesem Tag gehen an gewissen Stellen auseinander, sie decken sich aber alle darin, dass eine bis dahin nicht erlebte Militanz und Entschlossenheit der Protestierenden festgestellt wird.[15]<\/a> Die Demonstrant*innen, die zu militanten Mitteln gegriffen haben, waren zwar nicht der Gro\u00dfteil, haben aber die Wirkung der Demonstration deutlich mitbestimmt. Aber auch der Rest der Proteste war, allein aufgrund der schieren Menge an Menschen, die auf die Stra\u00dfe gegangen sind, eindr\u00fccklich.<\/p>\n\n\n\n

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Abb. 2: Copyright Walter Schuhmann. Nutzung in diesem Text mit freundlicher Erlaubnis des Urhebers.<\/figcaption><\/figure><\/div>\n\n\n\n

Was hat die Menschen damals motiviert an den Protesten teilzunehmen?<\/strong>       <\/p>\n\n\n\n

Um dieser Frage nachzugehen haben wir uns mit einer Theorie der Bewegungsforschung auseinandergesetzt, die Motivationsdynamiken von Protest in den Blick nimmt. Dabei beziehen wir uns auf die Publikationen Embeddedness and Identity: How Immigrants Turn Grievances into Action <\/em>von Bert Klandermans und Jojanneke van der Toorn und Motivations to Action <\/em>von Bert Klandermans. In diesen Publikationen stellen die Forscher*innen 5 Elemente heraus, die entscheidend daf\u00fcr sind, ob sich Menschen Protest anschlie\u00dfen oder auf der Couch sitzen bleiben. Ausgehend von unserer Fragestellung und mit Blick auf die Theorie haben wir uns mit 4 Menschen unterhalten, die damals bei den Protesten dabei waren. Mit ihnen sprachen wir \u00fcber die Geschehnisse und ihre pers\u00f6nlichen Gr\u00fcnde, Ihre Ablehnung gegen das \u00f6ffentliche Rekrutengel\u00f6bnis am 6.Mai 1980 auf die Stra\u00dfe zu tragen.<\/p>\n\n\n\n

da war der 6. Mai, also diese \u00f6ffentliche Rekrutenvereidigung, nat\u00fcrlich eine Provokation par excellence.<\/em><\/p>Ekkehard Lenz<\/cite><\/blockquote><\/figure>\n\n\n\n

Zum einen sind die wahrgenommenen Missst\u00e4nde <\/strong>wichtig. Dazu z\u00e4hlt insbesondere eine Emp\u00f6rung dar\u00fcber, wie der Staat mit politischen oder sozialen Problemen umgeht.[16]<\/sup><\/a> Dabei ist wichtig, wieviel Mobilisierungspotenzial bestimmte Missst\u00e4nde haben. An dieser Stelle spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, besonders aber die demographische und politische Beschaffenheit der Bev\u00f6lkerung. Zum Beispiel die Verteilung von Ethnizit\u00e4t, Klasse, Alter und politischen Meinungen sind hier zu nennen. Wie hoch die \u201eNachfrage\u201c in der Bev\u00f6lkerung nach Protest ist h\u00e4ngt davon ab, wie sehr die Missst\u00e4nde die Bev\u00f6lkerung politisieren.[17]<\/sup><\/a> Au\u00dferdem ist von entscheidender Bedeutung, wie die \u201eAngebotsseite\u201c von Protest strukturiert ist. Damit ist gemeint, wie die Opposition aufgestellt ist, welche Identifikationen sie erm\u00f6glicht, welche Akteure beteiligt sind und wie sie ideologisch aufgebaut ist.[18]<\/sup><\/a> Die Missst\u00e4nde, die von den Protestierenden am 06. Mai 1980 wahrgenommen wurden und zum Protest mobilisierten waren vielf\u00e4ltig. Der NATO-Doppelbeschluss, die Remilitarisierung und Aufr\u00fcstung der Bundeswehr, die Ost-West Beziehung \u2013 all dies waren Missst\u00e4nde, die von unseren Interviewpartner*innen  wahrgenommen wurden und mit der Gel\u00f6bnisfeier in Verbindung gebracht wurden. Das Rekrutengel\u00f6bnis als \u00f6ffentliches <\/em>Event wurde, in diesen Missst\u00e4nden eingebettet, als ein Ausdruck des aufstrebenden Militarismus und all dessen Gefahren verstanden. Dass der damalige Bundespr\u00e4sident Karl Carstens als ehemaliges NSDAP-Mitglied an diesem Tage Ehrengast im Weserstadion war und das Gel\u00f6bnis fast zeitgleich zum 35. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus angesetzt war, kam erschwerend dazu. Ekkehard Lentz erz\u00e4hlte uns:<\/p>\n\n\n\n

\u201eDer 8. Mai 1945 war die Befreiung vom Hitlerfaschismus, das Ende des Zweiten Weltkrieges. Damals also der 35. Jahrestag. Das hat bei den Planungen f\u00fcr den 6. Mai auch eine ganz wichtige Rolle gespielt, weil damals in der Friedensbewegung nat\u00fcrlich auch eine Reihe von Menschen noch aktiv waren, die eben unter den Nazis gelitten haben [\u2026]<\/em> da war der 6. Mai, also diese \u00f6ffentliche Rekrutenvereidigung, nat\u00fcrlich eine Provokation par excellence.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Missst\u00e4nde allein ziehen aber noch keine gro\u00dfen Proteste nach sich. Das Mobilisierungspotenzial, die \u201eNachfrage\u201c der Bev\u00f6lkerung nach Protesten h\u00e4ngt davon ab, wie die politische Beschaffenheit in der Bev\u00f6lkerung ist und wie sehr die Missst\u00e4nde politisieren. Wie also waren die Proteste am 06. Mai 1980 und die Bewegung in der Bremer Bev\u00f6lkerung verankert? Wurde den Belangen eher zugestimmt oder stie\u00df die Bewegung auf Gegenwind in der Zivilgesellschaft? Ekkehard Lentz beschreibt eine allgemeine Zustimmung der Bev\u00f6lkerung f\u00fcr die Ziele der Friedensbewegung und ist sich sicher, dass diese Missst\u00e4nde die Bev\u00f6lkerung politisiert haben. F\u00fcr Andrea geh\u00f6rten die Proteste zu Bremen dazu und reihten sich in eine Vielzahl verschiedener Proteste in der Hansestadt ein. Dieter M\u00fctzelburg sah in Bremen eine verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig starke Unterst\u00fctzung f\u00fcr die Anliegen der Proteste. Und auch Wesemann best\u00e4tigt diese Einsch\u00e4tzung:<\/p>\n\n\n\n

\u201eAber insgesamt, die Krieg dem Krieg Bewegung oder Friedensbewegung hat gro\u00dfen Zuspruch gefunden. Also es gab ja massenhafte Demonstrationen vor Pershing-Lagern, wo sich b\u00fcrgerlichen Kr\u00e4fte beteiligt haben. Also jede Menge Leute. Da ist glaube ich schon angekommen, dass es vern\u00fcnftig ist, sich dagegen zu wehren.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Autonome Gruppen, linke maoistische Parteien, K-Gruppen, mit den Jungsozialisten und Jungdemokraten zwei Jugendorganisationen b\u00fcrgerlicher Parteien, kirchliche Gruppen und aktive Kirchengemeinden, Menschen und Verb\u00e4nde aus dem gewerkschaftlichen Spektrum, Gruppen aus der Anti-AKW-Bewegung, die frisch gegr\u00fcndete Partei Die Gr\u00fcnen \u2013 all diese Gruppen nahmen unsere Interviewpartner*innen als aktive Akteur*innen der Bewegung war und geh\u00f6ren zur Angebotsseite der Proteste am 06. Mai 1980. Es wird deutlich, dass es sich um eine vielseitige Angebotsseite handelt, die f\u00fcr verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Ideologien Identifikationsm\u00f6glichkeiten bietet.<\/p>\n\n\n\n

Doch auch, wenn die erkannten Missst\u00e4nde politisieren und Proteste angeboten werden, kann nicht automatisch auf eine Protestteilnahme geschlossen werden. Die (erhoffte) Wirksamkeit<\/strong> der Bewegung spielt eine wichtige weitere Rolle. Dabei sind m\u00f6gliche Fragen: Welche M\u00f6glichkeiten und Ressourcen hat eine Bewegung? Welche Akteure sind beteiligt? Wichtig hier ist nicht das tats\u00e4chliche Ergebnis des Protests, sondern eher die Erwartung der Einzelnen, dass eine Teilnahme an Protestgeschehen tats\u00e4chlich eine erw\u00fcnschte Ver\u00e4nderung der politischen oder sozialen Umst\u00e4nde nach sich ziehen kann. Je eher eine Person auf die Wirkm\u00e4chtigkeit der Bewegung vertraut, desto eher l\u00e4sst sie sich auf Protest ein.[19]<\/sup><\/a> Diese erwartete Wirkm\u00e4chtigkeit steigt nat\u00fcrlich mit den M\u00f6glichkeiten und Ressourcen der Bewegung. Auf die gro\u00dfe Anzahl von beteiligten Akteur*innen wurde bereits eingegangen. Die strukturelle Vielf\u00e4ltigkeit der Angebotsseite zieht eine breite Verankerung in der Gesellschaft, langj\u00e4hrige Protesterfahrung und zus\u00e4tzlich eine gewisse militante Bereitschaft nach sich.<\/p>\n\n\n\n

Ich wollte die Chance nutzen zu zeigen: Ich bin dabei.<\/em><\/p>Andrea<\/cite><\/blockquote><\/figure>\n\n\n\n

F\u00fcr Klandermans und van der Toorn und innerhalb von sozialpsychologischen Erkl\u00e4rungsans\u00e4tzen ist kollektive Identit\u00e4t<\/strong> in sozialen Bewegungen ein wichtiges Konzept, um Protestteilnahme zu erkl\u00e4ren. Zusammengefasst, wird Teilnahme an Protestgeschehen umso wahrscheinlicher, je mehr sich mit der Bewegung oder einzelnen Gruppen innerhalb der sozialen Bewegung identifiziert wird.[20]<\/sup><\/a> F\u00fcr uns spielt also die Frage eine Rolle, wie sehr sich die Teilnehmenden mit der Friedensbewegung identifiziert haben. Weitergehend hat uns interessiert, wie sehr der 6. Mai f\u00fcr die Bremer Friedensbewegung ein identit\u00e4tsstiftendes Moment hatte. Dieter M\u00fctzelburg erinnert sich an zwei Stellen im Interview:<\/p>\n\n\n\n

\u201eInsofern hat die Aktion [am 6.Mai] [\u2026] die Identifikation mit der Bewegung selber und die Wut \u00fcber das Vorgehen der Polizei nat\u00fcrlich noch versch\u00e4rft. Aber ich war auch kritisch, also es gab keine Identifikation mit allem, was die Bewegung gemacht hat.\u201c <\/em> <\/em>und \u201eBei den Vorbereitungen und bei der Aktion selbst war es doch erst mal das Gef\u00fchl: Ich geh\u00f6re zu ganz Vielen\u201c<\/em><\/em><\/p>\n\n\n\n

Insgesamt l\u00e4sst sich sagen, dass alle Interviewpartner*innen sich grunds\u00e4tzlich mit den Zielen der Friedensbewegung identifizieren konnten, auch wenn nicht alle aktiv Teil der Bewegung waren. Horst Wesemann grenzte sich zum Teil auch ab, so war er damals in der von ihm als \u201eaggressiverer\u201c beschriebenen Krieg dem Krieg Bewegung organisiert. Dieter M\u00fctzelburg sah den Hauptort seiner politischen Arbeit eher in der Anti-AKW-Bewegung, wobei er gro\u00dfe thematische Ankn\u00fcpfungspunkte in der Arbeit der Friedensbewegung sah. Ekkehard Lentz sah und sieht sich auch heute noch als aktiver Teil der Friedensbewegung und Andrea befand sich damals in einer Orientierungsphase, in der auch weibliche \u201eGalionsfiguren\u201c der Friedensbewegung wie Jutta Ditfurth und Petra Kelly als sehr pr\u00e4sent wahrgenommen wurden.<\/p>\n\n\n\n

Neben Identit\u00e4t als Faktor gibt es auch den instrumentellen und den ideologischen Erkl\u00e4rungsansatz. Im instrumentellen Erkl\u00e4rungsansatz wird Protestteilnahme damit erkl\u00e4rt, dass Individuen versuchen durch ihren Protest die soziale und politische Umwelt zu ver\u00e4ndern.[21]<\/sup><\/a>  Als ein instrumenteller Grund fiel in unseren Interviews die Angst, dass Deutschland in Falle eines Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion stark betroffen w\u00e4re. Eine Beteiligung an den Protesten am 6.Mai wird nach diesem Ansatz vor allem durch den Willen erkl\u00e4rt, durch den Protest  Entmilitarisierung und Abr\u00fcstung auf die parlamentarische Agenda  zu setzen und politische durchzusetzen. Im ideologischen Erkl\u00e4rungsansatz geht es vor allem um einen Ausdruck der eigenen politischen Einstellungen als Motivation f\u00fcr Protest.[22]<\/sup><\/a> Als ideologisches Motiv gilt in unserem Beispiel vor allem, den Widerstand gegen Militarisierung, Hochr\u00fcstung und Mackergehabe auf globaler Ebene zu zeigen und auf die Stra\u00dfe zu tragen. Andrea erinnert sich:<\/p>\n\n\n\n

\u201eAlso mir ging es wirklich nur darum zu zeigen, dass man dagegen ist. Dass eben sowas nicht in die \u00d6ffentlichkeit geh\u00f6rt. Einfach nicht zu Hause auf dem Sofa sitzen und sagen: Och, das ist doch Mist. Sondern ich wollte die Chance nutzen zu zeigen: Ich bin dabei.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Diese drei Erkl\u00e4rungsans\u00e4tze sind aber keinesfalls exklusiv. Ganz im Gegenteil erg\u00e4nzen sich die verschiedenen Motive, Instrumentalit\u00e4t, Identit\u00e4t und Ideologie h\u00e4ufig bei der Entscheidung an einem Protest teilzunehmen. Die einzelnen Faktoren k\u00f6nnen dabei unterschiedlich stark ausgepr\u00e4gt sein.[23]<\/sup><\/a>  Auch bei unseren Interviewpartner*innen hat sich gezeigt, dass viele Motive Hand in Hand gespielt haben, wenn diese auch unterschiedlich gewichtet waren.<\/p>\n\n\n\n

Wir haben das dann als Initiative genommen, bei sp\u00e4teren Demonstrationen (\u2026) immer zusammen ‘ne Aktion zu machen.<\/em><\/p>Dieter M\u00fctzelburg<\/cite><\/blockquote><\/figure>\n\n\n\n

Als weiteren Faktor f\u00fcr die Beteiligung nennen die Forscher*innen die Soziale Verankerung<\/strong>. Das bedeutet, wenn Menschen engagiert sind in freiwilligen Organisationen, dass sie eher zu Protest bereit sind. Das kann von Mitgliedschaft in Parteien \u00fcber Organisationen bis hin zu au\u00dferparlamentarischen politischen Gruppen reichen. Dabei geht es um soziales Kapital, um soziale Netzwerke und innerhalb dieser um Vertrauen und Loyalit\u00e4t. Eine lebendige Zivilgesellschaft hilft Opposition und Protest und f\u00f6rdert konventionelle, aber auch nicht-konventionelle Protestbeteiligung.[24]<\/sup><\/a> <\/p>\n\n\n\n

Unsere Gespr\u00e4chspartner*innen waren auf unterschiedlichste Art und Weise sozial in Bremen verankert. Horst Wesemann war damals mit seinen 31 Jahren in den stadtteilorganisierten Krieg dem Krieg Gruppen, bei Hausbesetzungen, einem illegalen Radio und verschiedensten autonomen Aktionen beteiligt. Ekkehard Lentz war damals 24, hauptamtlicher Mitarbeiter der Deutschen Friedensunion (DFU) und auf Landes- sowie Bundesebene f\u00fcr Pressearbeit und Organisation zust\u00e4ndig. Andrea, damals 16 und Sch\u00fclerin, versuchte zu der Zeit in ihrer Schule eine politische Gruppe zu gr\u00fcnden mit den Themen Feminismus und Frieden. Ansonsten war sie in keiner Organisation eingebunden, sondern fing gerade an sich politisch umzuschauen. Dieter M\u00fctzelburg war am 06. Mai 1980 36 Jahre alt. Er arbeite an der Universit\u00e4t in Bremen und hatte gerade ein Berufsverbotsverfahren hinter sich, welches er jedoch vor Gericht gewinnen konnte. Ansonsten war er vor allem in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Seine Aktivit\u00e4ten waren relativ bekannt, so dass er am Tag der Gel\u00f6bnisfeier eine der beiden Demonstrationen anmelden konnte, ohne gro\u00dfe Bef\u00fcrchtungen zu haben. All diese Verankerungen in politischen Gruppen, oder die Suche nach einer Politik, die man selbst unterst\u00fctzen m\u00f6chte, sind Faktoren, die sich positiv auf die Bereitschaft an einem Protest teilzunehmen auswirken. Aber nicht nur \u201eoffizielle\u201c Gruppen und Organisationen k\u00f6nnen diesen Effekt haben. Dieter M\u00fctzelburg erinnert sich an einen eher unkonventionellen Zusammenschluss:<\/p>\n\n\n\n

\u201eIch bin auch sportlich aktiv gewesen und ich habe damals in einer Freizeit-Fu\u00dfballmannschaft gespielt mit dem sch\u00f6nen Namen “Bunter Sturm”. Wir waren ungef\u00e4hr so 20 Leute, nicht nur M\u00e4nner, sondern auch eine Menge Frauen (\u2026). Und wir haben bei den Demonstrationen immer eine sogenannte Bezugsgruppe gebildet. Also man blieb zusammen und verabredete vorher bestimmte Aktivit\u00e4ten. Das war bei der Mai Demonstration noch nicht der Fall. Da sind wir nur mitgelaufen und wir haben das dann als Initiative genommen, bei sp\u00e4teren Demonstrationen (\u2026) immer zusammen ‘ne Aktion zu machen. In Bremerhaven haben wir die Hauptverkehrsstra\u00dfe blockiert einfach mit unseren 25 Mann, mit ein paar Sympathisanten, Freunden und Freundinnen.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Wenn wir uns getroffen haben, das war ein Gef\u00fchl wie Verknalltsein.<\/em><\/p>Horst wesemann<\/cite><\/blockquote><\/figure>\n\n\n\n

Schlie\u00dflich ist es f\u00fcr die Theorie auch wichtig, Emotionen<\/strong> in die Analyse miteinzubeziehen. Besonders Wut wird in der Literatur als l\u00f6sungsorientiertes Gef\u00fchl beschrieben und steht in direkter Beziehung mit dem Gef\u00fchl der Wirkm\u00e4chtigkeit. Es wird beschrieben, dass Gef\u00fchle wie Wut eine Rolle spielen f\u00fcr die Motivation auf die Stra\u00dfe zu gehen und sich an Protest zu beteiligen. Sie sind aber oft nicht alleiniger Ausl\u00f6ser, wirken aber wie ein Verst\u00e4rker f\u00fcr bestehende Motivationen[25]<\/sup><\/a>.<\/p>\n\n\n\n

Horst Wesemann erinnert sich an unterschiedliche Emotionen. Die Stimmung an dem Tag sei f\u00fcr ihn gepr\u00e4gt worden von einer Entschlossenheit, die auf vorherige Niederlagen zur\u00fcckzuf\u00fchren sei:<\/p>\n\n\n\n

\u201eWir waren so auf Radau geb\u00fcrstet, dass wir gesagt haben: Wir lassen keine polizeiliche Begleitung zu. Wir lassen keine polizeiliche Intervention zu. Sobald irgendeiner versucht, in dieser starken Gruppe, die diese Demonstrationen angef\u00fchrt hat, Anstalten machte, sich dort zu infiltrieren, wehren wir das gleich massiv mit Gewalt ab. So waren wir auf Radau geb\u00fcrstet. (\u2026) Das ist sozusagen das Wichtigste, was wir sozusagen gedacht haben: Wir lassen uns nicht die Butter vom Brot nehmen diesmal. Wir haben so viele Niederlagen einstecken m\u00fcssen. Und jetzt haben wir die Faxen dicke. Jetzt schlagen wir zur\u00fcck.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Eine dieser Niederlagen war wohl die R\u00e4umung der Buchtstra\u00dfe am 01. Mai 1980, die von massiver Polizeigewalt begleitet war. Es kam zu 20 Verletzten, samt Knochenbr\u00fcchen und \u201eZusammengeschlagen werden\u201c auf der Polizeiwache. Ein Erfahrungsbericht zu diesen Geschehnissen berichtet von einer Kommunikation mit der Polizei: \u201eDie Bullen auf solche brutalen Methoden angesprochen: \u201aOb das wohl eine \u00dcbung f\u00fcr den 6. Mai sei\u2018 entgegneten: \u201aJeder Sportler l\u00e4uft sich doch warm.\u201c[26]<\/a> Dass solche Erfahrungen zu einer Wut f\u00fchren, liegt nahe. Im Zweifel noch mit frischen Prellungen der Polizei wieder gegen\u00fcberzustehen, wird nicht ohne Emotionen ablaufen. Wut und Entschlossenheit speisen sich aus solchen Erfahrungen und k\u00f6nnen individuell und kollektiv motivierend auf weitere Proteste wirken. Gleichzeitig erinnert sich Horst Wesemann an eine Euphorie, die die Vorbereitung und Proteste begleitet hat und ebenfalls motivierend wirkte:<\/p>\n\n\n\n

\u201eWenn wir uns getroffen haben, das war ein Gef\u00fchl wie Verknalltsein. Wir waren eine solche Mannschaft. Und wir haben gedacht, wir stellen die Verh\u00e4ltnisse auf den Kopf. Wir waren sozusagen getrieben von der Vorstellung, wir schaffen das wirklich, die Verh\u00e4ltnisse hier zu ver\u00e4ndern. (\u2026) Aber das Gef\u00fchl war pure Euphorie muss ich sagen. Wir waren so drauf, dass wir gesagt haben: Hallo, jetzt kommen wir. Jetzt geht’s los!\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Die Verh\u00e4ltnisse wurden an diesem Tag und auch bei den folgenden Demonstrationen und Protesten nicht auf den Kopf gestellt. Ob der konkrete Protest und die Bewegung als solche erfolgreich waren, ist bei unseren Gespr\u00e4chspartner*innen umstritten. Dieter M\u00fctzelburg erw\u00e4hnt: \u201eFriedensbewegungen haben das Problem, dass sie, wenigstens in den letzten 50 Jahren, die ich mitgekriegt habe, nie wirklich zum Frieden f\u00fchrten.\u201c Aber, so erinnert sich Horst Wesemann: \u201eIrgendwie hatten wir das Ziel, wir m\u00fcssen so viel \u00d6ffentlichkeit schaffen, dass das in Indonesien in der Tageszeitung steht. Und so ist es denn auch gewesen. Wir haben den Zeitungsartikel dann auch zugeschickt bekommen.\u201c<\/p>\n\n\n\n

F\u00fcr unsere Gespr\u00e4chspartner*innen waren die Ziele, die Wahl der politischen Mittel und die angesprochenen Adressat*innen des Protest unterschiedlich. Das zeigt, dass die Bewegung sehr heterogen war. Au\u00dferdem macht es nochmal deutlich, dass nicht von allgemeinen Beweggr\u00fcnden f\u00fcr die Teilnahme an dem Protest des 06. Mai 1980 gesprochen werden kann. Bei homogeneren sozialen Bewegungen k\u00f6nnte dies einfacher sein. Es handelt sich au\u00dferdem nicht um exklusive Beweggr\u00fcnde. Alle Faktoren, Missst\u00e4nde<\/strong>, Wirksamkeit<\/strong>, Identit\u00e4t<\/strong>, Soziale Verankerung<\/strong>und Emotionen<\/strong>, hatten einen individuellen Einfluss, wenn auch mit jeweils unterschiedlichen Gewichtungen. Die Gespr\u00e4che mit einzelnen Demonstrant*innen \u00fcber ihre Beweggr\u00fcnde an den Protesten teilzunehmen \u2013 mehr als 40 Jahre sp\u00e4ter \u2013 kann daher auch nicht stellvertretend f\u00fcr die Beweggr\u00fcnde der Bewegung stehen (wenn \u00fcberhaupt von DER<\/em> Bewegung gesprochen werden kann). Aber es werden einzelne Beweggr\u00fcnde verdeutlicht und miteinander in Beziehung gesetzt. So k\u00f6nnen wahrgenommene Missst\u00e4nde politisieren und Menschen zu einer Teilnahme an Protesten bewegen, gleichzeitig kann eine vermehrte Teilnahme an Protesten und Missst\u00e4nde, die sich nicht ver\u00e4ndern auch eine Wut ausl\u00f6sen, die bei Protesten eine andere Bereitschaft zur Konfrontation hervorruft. Insgesamt schaffen unsere Zeitzeug*inneninterviews Einblicke in das Bremen der 80er Jahre, was die Menschen bewegt hat und wie die Friedensbewegung damals agiert hat. Wenn auch nicht repr\u00e4sentativ, so ist unser Beitrag doch ein Puzzlest\u00fcck f\u00fcr die Bremer Bewegungsforschung. Daf\u00fcr m\u00f6chten wir uns auch herzlich bei unseren Interviewpartner*innen bedanken, die uns durch Ihre Zeit und Offenheit diesen Beitrag erst erm\u00f6glicht haben.<\/p>\n\n\n\n


\n\n\n\n

[1]<\/a> Corterier et al.  (1980): <\/a>42<\/p>\n\n\n\n

[2]<\/a> Corterier et al. (1980): 18<\/p>\n\n\n\n

[3]<\/a> Butterwegge (1992): 155<\/p>\n\n\n\n

[4]<\/a> Butterwegge (1992): 158<\/p>\n\n\n\n

[5]<\/a> Dobberkau (1980): 8-9<\/p>\n\n\n\n

[6]<\/a> N.N. a (1980): 23<\/p>\n\n\n\n

[7]<\/a> N.N. a (1980): 23<\/p>\n\n\n\n

[8]<\/a> N.N. a (1980): 23<\/p>\n\n\n\n

[9]<\/a> B.\/O. (o.D.): 29<\/p>\n\n\n\n

[10]<\/a> N.N. a (1980): 24<\/p>\n\n\n\n

[11]<\/a> Wolschner (2010)<\/p>\n\n\n\n

[12]<\/a> B.\/O. (o.D.): 29<\/p>\n\n\n\n

[13]<\/a> Corterier et al. (1980): 18<\/p>\n\n\n\n

[14]<\/a> B.\/O. (o.D.): 30<\/p>\n\n\n\n

[15]<\/a> Corterier et al. (1980): 18<\/p>\n\n\n\n

[16]<\/a> Klandermans et al. (2008): 993<\/p>\n\n\n\n

[17]<\/a> Klandermans (2015): 221<\/p>\n\n\n\n

[18]<\/a> Klandermans (2015): 221<\/p>\n\n\n\n

[19]<\/a> Klandermans et al. (2008): 994<\/p>\n\n\n\n

[20]<\/a> Klandermans et al. (2008): 995<\/p>\n\n\n\n

[21]<\/a> Klandermans (2015): 224<\/p>\n\n\n\n

[22]<\/a> Klandermans (2015): 224<\/p>\n\n\n\n

[23]<\/a> Klandermans (2015): 225<\/p>\n\n\n\n

[24]<\/a> Klandermans et al. (2008): 996<\/p>\n\n\n\n

[25]<\/a> Klandermans et al. (2008): 995<\/p>\n\n\n\n

[26]<\/a> N.N. b (1980): 20<\/p>\n\n\n\n

Quellenverzeichnis<\/strong><\/p>\n\n\n\n

B.\/O. (o.D.): Im Stadion. Aus: KB-Brosch\u00fcre: 10f. Zitiert aus: Bremen 1980. Die Schlacht am Weserstadion. Dokumentation \u00fcber die Proteste am Weserstadion. Hrsg. von noch einer autonome Gruppe. Mai 2010: 29-30<\/p>\n\n\n\n

Butterwegge, Christoph (1992): Entstehung und Entwicklung der Neuen Friedensbewegung (1979\/80 bis 1992). In: Butterwegge, Christoph\/Jansen, Hans G. (Hrsg.) Neue Soziale Bewegungen in einer alten Stadt. Versuch einer vorl\u00e4ufigen Bilanz am Beispiel Bremens. Bremen: Steintor, 153-182<\/p>\n\n\n\n

Corterier\/Jentsch\/Jung\/Jungmann\/de Terra (1980): Bericht des Verteidigungsausschusses als 2. Untersuchungsausschu\u00df nach Artikel 45 a Abs. 2 Grundgesetz zu dem Antrag der Mitglieder der Fraktion der CDU\/CSU im Verteidigungsausschu\u00df auf Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschu\u00df zur Untersuchung der Vorg\u00e4nge im Zusammenhang mit den blutigen Krawallen anl\u00e4\u00dflich des \u00f6ffentlichen Gel\u00f6bnisses von Bundeswehrsoldaten am 6. Mai 1980 Im Bremer Weserstadion. Text abrufbar unter: https:\/\/dipbt.bundestag.de\/doc\/btd\/08\/044\/0804472.pdf. Letzter Zugriff am 18.04.2021<\/a><\/p>\n\n\n\n

Dobberkau, Peter (1980): Offener Brief des KBW zu Rekrutenvereidigung am 6. Mai im Weserstadion. Zitiert aus: Bremen 1980. Die Schlacht am Weserstadion. Dokumentation \u00fcber die Proteste am Weserstadion. Hrsg. von noch einer autonome Gruppe. Mai 2010: 8-9<\/p>\n\n\n\n

Klandermans, Bert (2015), Motivations to Action, in: Donatella della Porta and Mario Diani (eds.), The Oxford Handbook of Social Movements, Oxford: Oxford University Press, pp. 219\u2013230<\/p>\n\n\n\n

Klandermans, Bert\/ van der Toorn, Jojanneke\/ van Stekelenburg, Jacquelien (2008): Embeddedness and Identity: How Immigrants Turn Grievances into Action, American Sociological Review, 73(6), 992 – 1012<\/p>\n\n\n\n

N.N. a (1980): Eine kommentierte Chronologie \u2013 6. Mai 80. aus: Info BUG Nr. 54, 11.05.1980: 4f. zt. aus: Bremen 1980. Die Schlacht am Weserstadion. Dokumentation \u00fcber die Proteste am Weserstadion. Hrsg. von noch einer autonome Gruppe. Mai 2010: 23-24<\/p>\n\n\n\n

N.N. b (1980): Bullerei am 1. Mai. aus: Info BUG Nr. 54, 11.05.1980: 8. zt. aus: Bremen 1980. Die Schlacht am Weserstadion. Dokumentation \u00fcber die Proteste am Weserstadion. Hrsg. von noch einer autonome Gruppe. Mai 2010: 20<\/p>\n\n\n\n

Wolschner, Klaus (2010): Rekrutengel\u00f6bnis. Niederlage f\u00fcr die Bundeswehr. Abrufbar unter: https:\/\/taz.de\/Rekrutengeloebnis\/!5143164\/<\/a>. Letzter Zugriff am 18.04.2020<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Von Ulrike Zepke und Gunnar Bantz Was hat die Menschen 1980 in Bremen auf die Stra\u00dfe getrieben, um gegen das \u00f6ffentliche Rekrutengel\u00f6bnis im Weserstadion zu protestieren? F\u00fcr viele Autonome zum Mythos erwachsen, in der b\u00fcrgerlichen Presse als nie dagewesene Gewalt betitelt. Der 06. Mai 1980 in Bremen gilt mitunter als Indiz der Ver\u00e4nderung der sozialen […]<\/p>\n","protected":false},"author":18,"featured_media":2133,"comment_status":"closed","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[27],"tags":[23,8,26,22,24],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2131"}],"collection":[{"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/users\/18"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2131"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2131\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":2146,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2131\/revisions\/2146"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/media\/2133"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2131"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2131"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2131"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}