{"id":2111,"date":"2021-05-04T16:55:28","date_gmt":"2021-05-04T15:55:28","guid":{"rendered":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/?p=2111"},"modified":"2021-05-12T13:00:56","modified_gmt":"2021-05-12T12:00:56","slug":"hausbesetzungen-damals-und-heute","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/2021\/05\/04\/hausbesetzungen-damals-und-heute\/","title":{"rendered":"Hausbesetzungen damals und heute"},"content":{"rendered":"\n
Was waren die Motive von Hausbesetzer*innen in Bremen in den fr\u00fchen 1990er Jahren und wie unterscheiden sie sich von den Motiven der Hausbesetzer*innen der “Dete”, die im Oktober 2020 besetzt wurde?<\/em><\/p>\n\n\n\n Besetzte H\u00e4user geh\u00f6rten in Bremen in den 1970er und 1980er Jahren, wie auch in anderen St\u00e4dten, ganz selbstverst\u00e4ndlich zum Stadtbild dazu und bildeten einen zentralen Teil der Protestbewegungen dieser Zeit. Auch in den fr\u00fchen 1990er Jahren wurden in Bremen weiterhin Versuche unternommen H\u00e4user zu besetzen, abgesehen von ehemaligen Besetzungen, die teilweise einen Legalisierungsprozess durchlaufen hatten und beispielsweise f\u00fcr Zwecke eines Kulturzentrums ausgebaut oder bereits genutzt wurden (Scheda\/Sinn\/Z\u00fcghart 2000: 24-25). Welche konkreten Motive gab es bei Hausbesetzungen in den fr\u00fchen 1990er Jahren in Bremen? Im Archiv der Sozialen Bewegungen Bremen konnte ich Ausgaben der damals w\u00f6chentlich erscheinenden, bremischen Zeitschrift \u201eBambule\u201c unter die Lupe nehmen, sowie dar\u00fcber hinaus auch ein paar Ausgaben der j\u00e4hrlich erscheinenden Zeitschrift \u201eKassiber\u201c aus Bremen einsehen. Zus\u00e4tzlich werde ich die Motive der Hausbesetzer*innen der \u201eDete\u201c, die im Oktober 2020 besetzt wurde, anhand von Zeitungsartikeln und Sozialen Medien herausarbeiten. Anschlie\u00dfend werde ich Unterschiede zwischen den Motiven der damaligen Besetzer*innen und den Motiven der Besetzung der \u201eDete\u201c im Herbst 2020 herausstellen. Zum Ende folgt eine Zusammenfassung und ein Ausblick.<\/p>\n\n\n\n Die Besetzung des \u201eHaus Nawatzki\u201c im Juni 1990<\/strong><\/p>\n\n\n\n Im Juni 1990 wird die sogenannte \u201eNawatzki-Villa\u201c in Bremen-Vegesack nach 10 Jahren Leerstand durch eine Gruppe junger Leute besetzt. Sie befindet sich im Besitz des sogenannten \u201eBremer Vulkan\u201c, des Werftenverbundes, der 1997 aufgrund von kontroversen Fehlkalkulationen endg\u00fcltig ein tragisches Ende fand. Die Villa wurde 9 Jahre zuvor, im April 1981, bereits von Jugendlichen besetzt und wieder ger\u00e4umt. Ende Juli 1993 wird die \u201e Nawatzki-Villa\u201c nach 23 Tagen Besetzung von den Besetzer*innen ebenfalls wieder verlassen, nachdem ein R\u00e4umungsbeschluss des Eigent\u00fcmers vorliegt und die Polizei mit einem Gro\u00dfaufgebot zur Durchsetzung der R\u00e4umung erscheint (Staatsarchiv Bremen 10.B Al 1752). Sie verlassen es ungesehen durch ein Seitenfenster, nachdem \u201edie Idee, die Polizei mit einem Sektfr\u00fchst\u00fcck zu begr\u00fc\u00dfen […] im letzten Moment an Zweifeln am Humor der Polizei [scheiterte]\u201c (Taz 26.7.1990). Zuvor hatten Ortsamtsleiter, Sozialbeh\u00f6rde und \u201eWohnungshilfe e.V.\u201c den Besetzer*innen zwei H\u00e4user als Wohnraum angeboten. Demnach w\u00e4re \u201ePlatz f\u00fcr 10 Jugendliche, die einen ordentlichen Mietvertrag bekommen sollten\u201c (Taz 21.7.1990). Die Besetzer*innen willigten ein, aber eine Liste an Personen wird nach internen Diskussionen nicht rechtzeitig eingereicht, da keine Einigung auf eine Auswahl an Personen m\u00f6glich war (Taz 21.7.1990). Der Ortsamtsleiter konnte daraufhin kein Verst\u00e4ndnis aufbringen (Taz 21.7.1990). <\/p>\n\n\n\n Motive der Besetzung waren, wie auch in fr\u00fcheren Besetzungen im Stadtteil Vegesack gefordert wurde, billiger Wohnraum f\u00fcr ein \u00abalternatives, unkommerzielles Wohnen\u00bb (Taz 3.7.1990). Nachdem das Geb\u00e4ude durch Ausrei\u00dfen der Fenster und hohe Umz\u00e4unung auf Antrag des Eigent\u00fcmers \u2018total unbewohnbar\u2019 gemacht wird, verbleibt lediglich ein Transparent am Geb\u00e4ude, auf dem es hei\u00dft \u2018Ohne uns zu fragen, wird hier kein Stein abgetragen\u2019 (Taz 26.7.1990). So l\u00e4sst sich vermuten, dass \u00fcber die erste Forderung hinaus eine Einbeziehung von Anwohnenden in der Frage nach einem potentiellen Abriss des Geb\u00e4udes verlangt wird.<\/p>\n\n\n\n Die Besetzung im Buntentorsteinweg 120 im Januar 1994<\/strong><\/p>\n\n\n\n Am 25. Januar 1994 besetzt die Neust\u00e4dter Initiative f\u00fcr bezahlbaren Wohnraum <\/em>ein Wohngeb\u00e4ude im Buntentorsteinweg 120. Das Geb\u00e4ude umfasst 10 Wohnungen, wird ebenfalls von der Bremischen<\/em> verwaltet und die ehemaligen Bewohner*innen wurden im vorherigen Jahr systematisch \u201eentmietet\u201c (Bambule 37, 2). Daraufhin stand das Geb\u00e4ude leer bzw. wurde Privateigent\u00fcmer*innen zum Verkauf angeboten und wartete laut der Initiative<\/em> auf eine Luxussanierung. Die Besetzung kann jedoch nur vier Stunden aufrecht erhalten werden, da bereits w\u00e4hrend der ersten Aufforderung das Haus zu verlassen SEK-Beamt*innen mit einem massiven Polizeiaufgebot in das Geb\u00e4ude st\u00fcrmen. 16 Personen werden festgenommen, ED behandelt und ihnen wird Haus- und schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen (Bambule 37,2). Die Treppe zwischen Erdgeschoss und erstem Stock waren bereits vor der Besetzung herausgeschlagen worden, vermutlich um eine solche abzuwenden. Am Tag nach der Besetzung werden die unteren Etagen im Auftrag der Bremischen<\/em> unter Polizeischutz zugemauert. Die Initiative<\/em> ordnet die Besetzung in der Bambule<\/em> in einen gr\u00f6\u00dferen Kontext ein. So sei das \u201egelbe Haus [\u2026] durch seine Lage um innenstadtnahen Teil der Neustadt Ziel von Umstrukturierungspl\u00e4nen. H\u00e4user in dieser Lage haben einen hohen Wert als Geldanlagen [\u2026]\u201c. Dar\u00fcber hinaus schreiben sie:<\/p>\n\n\n\n [\u2026] Schon jetzt m\u00fcssen viele Menschen \u00fcber 50 % ihres Einkommens Monat f\u00fcr Monat auf den Tisch legen, um ihren Wohnraum zu bezahlen. Wenn die Mieten weiter steigen, werden nicht wenige gezwungen sein, auf die \u201ebilligeren\u201c Stadtteile Bremens auszuweichen. Sie werden mit weiteren Wegen und weniger Platz leben m\u00fcssen. Anderswo dagegen werden teurere Wohnungen und H\u00e4user unbewohnt bleiben. Gleichzeitig finden immer weniger Menschen Arbeit und bezahlbaren Wohnraum. Beispiele einer solchen \u201eVeredelungs-Politik\u201c sind das vordere Ostertor, das Sanierungsgebiet Weidedamm 2, aber auch die B\u00fcrgerweide.<\/p>\n\n\n\n Politisch verantwortlich f\u00fcr diese st\u00e4dtebaulichen Ma\u00dfnahmen ist der Senat. Er ist nicht in der Lage, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Stattdessen begegnet er denen, die das Problem selbst in die Hand nehmen mit Polizeigewalt und Strafverfahren. Im Gegensatz dazu brachten und die AnwohnerInnen des Buntentors nicht nur Verst\u00e4ndnis entgegen, sondern machten uns auch auf weitere leerstehende H\u00e4user aufmerksam.<\/p>\n\n\n\n Es l\u00e4sst sich also herausstellen, dass das Grundmotiv der Akteur*innen in diesem Fall die Forderung nach bezahlbaren Wohnraum darstellt. Dar\u00fcber hinaus beabsichtigen die Akteur*innen durch ihren Protest die ungeregelten marktwirtschaftlichen Dynamiken in der bremischen Wohnungspolitik zu skandalisieren, dessen weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen insbesondere f\u00fcr Geringverdienende sie als problematisch herausstellen. Dar\u00fcber hinaus nehmen die Akteur*innen Bezug auf das \u201eBuntentorhaus\u201c. So hei\u00dft es weiter:<\/p>\n\n\n\n Das mit Wohnungspolitik auch sozialer Wohnungsbau gemeint ist, bezweifeln wir angesichts vieler leerstehender H\u00e4user und Luxussanierung allerdings stark. Spekulationen \u2013 mit Objekten wie diesem oder dem ehemals besetzten Haus am Buntentor 372-76 \u2013 scheinen vielmehr im Vordergrund zu stehen. Dies kann nicht im Interesse der Menschen dieser Stadt sein, denn eine solche Wohnungspolitik orientiert sich lediglich an den Bed\u00fcrfnissen einiger weniger privilegierter.<\/p>\n\n\n\n Die Besetzung <\/strong>des \u201e<\/strong>Buntentorhaus<\/strong>\u201c im <\/strong>Buntentorsteinweg <\/strong>372-376 <\/strong>von 1987 bis 1994<\/strong><\/p>\n\n\n\n In der Ausgabe 18 der Bambule<\/em> hei\u00dft es Ende April 1993:<\/p>\n\n\n\n Obwohl der CDU-Ortsbeirat eindringlich vor einer Verl\u00e4ngerung des Vertrages f\u00fcr die Nutzerinnen des Grundst\u00fcckes Buntentorsteinweg 372-376 warnt…k\u00e4mpfen wir f\u00fcr den Erhalt des Frauen-Wohn-Werkstatt-Atelier-Projektes im Buntentorsteinweg und somit f\u00fcr die Verl\u00e4ngerung des Nutzungsvertrages mit f\u00fcr uns akzeptablen Bedingungen.<\/p>\n\n\n\n Das besagte Gel\u00e4nde und Geb\u00e4ude ist damals kommunaler Wohnungsbestand und wird, wie damals zahlreiche andere Geb\u00e4ude, von der Bremischen Gesellschaft f\u00fcr Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnungsbau<\/em>, auch \u201eBremischen\u201c genannt, verwaltet. Die damalig noch f\u00fcr den Senat verwaltende \u201eBremische\u201c erwartet allerdings im Zuge der Wohnungspolitik der Ampelkoalition in Bremen eine g\u00e4nzliche Privatisierung, wie ein Jahr sp\u00e4ter deutlich wird. <\/p>\n\n\n\n Sechs Jahre zuvor, 1987, wird das damals leerstehende Geb\u00e4ude im Buntentorsteinweg 372-376von ca. 50 Personen aus einer gemischtgeschlechtlichen Szene besetzt, der \u201eVerein f\u00fcr freie Kulturentfaltung, kommunikatives und selbstbestimmtes Leben e.V.\u201c gegr\u00fcndet und nach langen Verhandlungen mit der Sozialbeh\u00f6rde ein Nutzungsvertrag mit Wohnrechten abgeschlossen. Dieser war 1988 schlie\u00dflich unterschriftsreif und sollte f\u00fcnf Jahre laufen (Daschner Taz 1993:1). Schlie\u00dflich bot das Geb\u00e4ude ab 1989 f\u00fcr 10 Personen Wohn- und Freiraum, sowie Stellfl\u00e4che f\u00fcr Bauw\u00e4gen auf dem Gel\u00e4nde. Dar\u00fcber hinaus wurde es von zahlreichen Frauen und Lesben als Werkstatt, Atelier, Veranstaltungsraum, multifunktionale Halle und Fotolabor genutzt (Bambule 1993: 18,1). Als am 31.5.1993 dieser Vertrag enden soll, wird \u00fcber Monate hinweg in Form von Verhandlungen mit der Stadt, sowie Informationsverstanstaltungen, breiter Mobilisierung und einem wiederholten Besetzungsversuch des Geb\u00e4udes f\u00fcr eine weitere Nutzung gek\u00e4mpft. In den Sitzungen des Beirats der Bremer Neustadt wird am 29.4.1993 mit 9 zu 7 Stimmen auf Antrag der CDU gegen eine Verl\u00e4ngerung des Nutzungsvertrags entschieden. Als Grund wird u.A. eine Kritik von Nachbar*innen angef\u00fchrt, welche \u00ab3 Monate lang eine eine Wohnung nicht vermieten [konnten], weil die Fassade des Hauses gegen\u00fcber unzumutbar war\u00bb (Bambule 1993: 19,1). Kritisch wird von den Autor*innen des Textes in der Zeitschrift \u201eBambule\u201c Anfang Mai angemerkt, dass die besagte Wohnung allerdings l\u00e4ngst vermietet sei. Trotz einer Selbstdarstellung der Arbeit der Frauen und K\u00fcnstler*innen im Beirat, sowie positiven Stimmen von beh\u00f6rdlicher Seite, sind die Beiratsabgeordneten in der Mehrheit dagegen. Die endg\u00fcltige Entscheidung soll schlie\u00dflich am 11.5.1993 in der Bremer B\u00fcrgerschaft getroffen werden, wobei die Autor*innen sich die Frage nach einer \u201eB\u00fcrger(Innen?)schaft\u201c nicht verkneifen k\u00f6nnen und ein vehementes Verbleiben auf dem Gel\u00e4nde ank\u00fcndigen. Hier wird bereits deutlich, dass die Hausnutzer*innen \u00fcber die konkrete Forderung nach Erhalt des Projektes hinaus das Ziel hatten eine Wohnungspolitik zu kritisieren, die zun\u00e4chst einmal mehrheitlich von m\u00e4nnlichen Politikern ausgef\u00fchrt wird.<\/p>\n\n\n\n In der darauffolgenden Ausgabe wird \u00fcber die Enthaltung der damaligen regierenden Koalition in der B\u00fcrgerschaftssitzung berichtet, welche sich aus SPD, Gr\u00fcnen und FDP zusammensetzte (Bambule 1993: 21,1). Zu diesem Zeitpunkt scheint die Perspektive noch unklar zu sein, allerdings berichten die Autor*innen schon von der Annahme, dass m\u00f6glicherweise Bauvorhaben der Stadt bestehen und diese mit relativ hoher Sicherheit auf das ehemals besetzte Gel\u00e4nde im Buntentorsteinweg abzielen. In Bambule<\/em> und Bremer <\/em>Kassiber<\/em> wird in regelm\u00e4\u00dfigen Abst\u00e4nden \u00fcber die aktuellen Geschehnisse um Hausbesetzungen und andere Protestformen in Bremen berichtet, sowie zu zahlreichen Veranstaltungen eingeladen. So finden in im Buntentorhaus<\/em> beispielsweise Theaterst\u00fccke, Tanzveranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen, Frauen-Fahrrad-Selbsthilfewerkst\u00e4tten, Tage der offenen T\u00fcr, Frauen-Lesben-Feten, Kinder\u00fcberraschungsfeste mit Livemusik, sowie Kneipenabende statt. Dabei werden des \u00d6fteren explizit nur Frauen oder Frauen und Lesben eingeladen, aber auch regelm\u00e4\u00dfig Veranstaltungen f\u00fcr alle angeboten. Dar\u00fcber hinaus wird regelm\u00e4\u00dfig auch von anderen selbstorganisierten Initiativen zu beispielsweise \u201eSoli-Feten\u201c eingeladen, welche sich mit den Anliegen der Hausnutzer*innen solidarisieren (Bambule 1993: 22,1).<\/p>\n\n\n\n