{"id":2087,"date":"2021-05-04T16:40:32","date_gmt":"2021-05-04T15:40:32","guid":{"rendered":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/?p=2087"},"modified":"2021-05-04T16:49:50","modified_gmt":"2021-05-04T15:49:50","slug":"kein-hochhaus-in-my-backyard","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/2021\/05\/04\/kein-hochhaus-in-my-backyard\/","title":{"rendered":"Kein Hochhaus in my backyard"},"content":{"rendered":"\n

Content Warning: Ein m\u00f6glicherweise (re-)traumatisierender Ausdruck wird in diesem Beitrag zitiert.<\/span><\/p>\n\n\n\n

Das Bremer \u201eViertel\u201c blickt auf eine lebendige und bisweilen turbulente Geschichte zur\u00fcck, die insbesondere in den 1960er-Jahren an Fahrt aufgenommen hat. In der Zeit der Neuen Sozialen Bewegungen war auch das Viertel Austragungsort von K\u00e4mpfen um soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Mitbestimmung. Ein Beispiel hierf\u00fcr ist die Verhinderung der geplanten \u201eMozarttrasse\u201c. Seit 2018 gibt es nun Pl\u00e4ne f\u00fcr ein neues Quartiersprojekt auf dem alten Bundesbankgel\u00e4nde in der Kohlh\u00f6kerstra\u00dfe, das sich treffenderweise in etwa dort befindet, wo sich die Trasse ihren Weg durch das Viertel bahnen sollte. Nicht blo\u00df der Ort des neuen Bauprojekts weist Parallelen zur \u201eMozarttrasse\u201c auf, auch seine Kritiker*innen sehen sich in direkter Erbfolge zu den Aktivist*innen, die vor knapp 50 Jahren die kleinteilige Struktur des Viertels vor der geplanten \u201eOsttangente\u201c bewahrten. Was sind die Ziele der B\u00fcrger*inneninitiative \u201eKein Hochhaus im Viertel\u201c und wie l\u00e4sst sich der Protest einordnen?<\/p>\n\n\n\n

Der Begriff sogenannter Nimby<\/em>-Proteste (\u201eNot in my backyard<\/em>\u201c \u2013 in etwa \u201enicht in meinem Garten\u201c) ist seit einigen Jahrzehnten gel\u00e4ufig und auch bekannt als \u201eSt.-Florians-Prinzip\u201c. Er beschreibt Proteste gegen Projekte im direkten r\u00e4umlichen Umfeld, die nicht den eigenen Interessen entsprechen \u2013 obwohl sie mitunter gesellschaftlich notwendig sein k\u00f6nnen (Menzl 2014: 65). Margit Mayer beschreibt Nimby<\/em>-Proteste etwas harscher als \u201epartikularistisch orientierte, auf die Verteidigung der jeweiligen st\u00e4dtischen Lebensqualit\u00e4t gerichtete und zumeist in besser situierten Mittelklasse-Vierteln basierende Initiativen\u201c (Mayer 2008: 299). Geeint durch die Unzufriedenheit mit der Funktionsweise des politischen Systems, mit dem Verhalten der lokalen politischen Eliten und der fehlenden M\u00f6glichkeit, ihre Vorstellungen \u2013 \u201e insbesondere unverw\u00e4ssert\u201c \u2013 in den Entscheidungsprozess einzubringen (Marg 2011), wenden sie sich in mitunter sehr wortstarker und aufgebrachter Weise<\/a> \u00f6ffentlichkeitswirksam an Investor*innen und Politiker*innen. Es mag Nimby<\/em>-Protestierenden auch um Themen der sozialen Gleichheit und Gerechtigkeit gehen, im Kern der Anliegen stehen aber Besitzstandswahrung und die \u201eVerteidigung privilegierter Lebensbedingungen\u201c (Mayer 2008: 308). Im Folgenden soll beleuchtet werden, inwieweit die eben genannten Definitionen auf die BI im Ostertorviertel zutreffen.<\/p>\n\n\n\n

Im Jahre 2017 kaufte die Hamburger Firma f\u00fcr Bauprojektentwicklung Evoreal das ehemalige Bundesbank-Gel\u00e4nde in Bremen, das bereits einige Jahre leer stand. Mitte 2018 wurde dann der erste Projektentwurf<\/a> vorgestellt, der damals noch ein 14-st\u00f6ckiges Geb\u00e4ude (knapp 43 Meter) als h\u00f6chsten Punkt vorsah, um die Br\u00fccke zwischen hoch bebauter Bahnhofsvorstadt und kleinteiligem Viertel zu schlagen. Der Entwurf wurde von der Jury unter B\u00fcrger*innenbeteiligung<\/a> abgesegnet. Nach einem halben Jahr regte sich im Fr\u00fchjahr 2019 dann Protest gegen das Bauvorhaben<\/a>, der sich zur B\u00fcrger*inneninitiative \u201eKein Hochhaus im Viertel\u201c (BI) entwickelte. Bereits hier war die Kritik am Bauplan sehr wortstark und emotional aufgeladen und erste Vergleiche zur \u201eMozarttrasse\u201c wurden gezogen. Olaf Dinn\u00e9, ein stadtbekanntes Bremer Urgestein, sprach sogar von einer versuchten \u201estrukturelle[n] Vergewaltigung\u201c des Viertels, seiner Meinung nach wie bei jener Trasse, gegen die er bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren protestierte. Die Mitglieder der Initiative werten das neue Bauvorhaben als Angriff auf das Viertel und \u00e4u\u00dferten, dass sie mit dem \u201ealten Gesicht [des Viertels] zufrieden\u201c seien. Etwa einen Monat sp\u00e4ter bot der Investor an, die Zahl der Hochhaus-Geschosse von 14 auf zw\u00f6lf zu reduzieren, was knapp 37 Metern entspr\u00e4che \u2013 das aktuelle Bankgeb\u00e4ude verf\u00fcgt \u00fcber etwas mehr als 33 Meter. Die Initiative lehnte \u201ekompromisslos\u201c ab<\/a> und verteidigte die vom Projektentwickler als \u201e\u00fcbertrieben\u201c beschriebene Darstellung des Entwurfs auf dem Poster der Protestgruppe (siehe Bild unten), indem sie sich auf \u201ek\u00fcnstlerische Freiheit\u201c berief. Nach einer l\u00e4ngeren Pause aufgrund von B\u00fcrgerschaftswahlen und der daraus folgenden Neubesetzung von Gremien fanden die Regierungsparteien und der Investor Anfang 2020 schlie\u00dflich zu einem Kompromiss, der nun elf Stockwerke vorsieht<\/a>, jedoch auch eine Angleichung \u2013 sprich Erh\u00f6hung \u2013 der anderen Geb\u00e4ude des Komplexes. Das geplante Hochhaus w\u00e4re somit nur einen Meter h\u00f6her als das momentan existierende ehemalige LZB-Geb\u00e4ude. Daraufhin bem\u00e4ngelten die Anwohner*innen, dass ihnen \u201ein den engen Stra\u00dfen jahrelanger Lkw-Verkehr zugemutet werden\u201c solle, zus\u00e4tzlich zu Bauschutt und Feinstaubbelastung. Die Initiative hat ihr nach au\u00dfen getragenes Ziel \u2013 kein Hochhaus im Viertel, oder zumindest kein noch h\u00f6heres Haus \u2013 also eigentlich erreicht, zeigt sich aber dennoch alles andere als zufrieden. Die Protestierenden bem\u00e4ngeln heute prim\u00e4r die mit dem anstehenden Abriss und Bau verbundenen Unannehmlichkeiten, die ihre Lebensqualit\u00e4t vermindern w\u00fcrden und suchen nach weiteren Gr\u00fcnden, das gesamte Vorhaben zu stoppen. So widmen sie sich neuerdings vermehrt dem Schutz der B\u00e4ume zu, die aufgrund der Baustelle gef\u00e4llt wurden<\/a> oder noch gef\u00e4llt werden sollen.

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