{"id":1927,"date":"2021-03-26T03:32:00","date_gmt":"2021-03-26T02:32:00","guid":{"rendered":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/?p=1927"},"modified":"2021-05-04T16:50:03","modified_gmt":"2021-05-04T15:50:03","slug":"die-hutte-brennt-hochschulen-des-landes-vereinigt-euch","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/traces.protestinstitut.eu\/index.php\/2021\/03\/26\/die-hutte-brennt-hochschulen-des-landes-vereinigt-euch\/","title":{"rendered":"Die H\u00fctte brennt \u2013 Hochschulen des Landes vereinigt euch!"},"content":{"rendered":"\n
Als der Wissenschaftsplan 2025 (2019) vor zwei Jahren beschlossen wurde, freute sich die Universit\u00e4t Bremen in einer Stellungnahme noch \u00fcber \u201edeutliche Ressourcensteigerungen\u201c (AS 2018: 1) in den n\u00e4chsten Jahren. Besonders in den Personalbereich und Sachkosten im Bremer Hochschulsystem sollte investiert werden. Gedeutet wurden die Mittelzuweisungen als klares Bekenntnis der Landesregierung zu ihrer Universit\u00e4t und als \u201eAnerkennung der Leistungen in Lehre und Forschung\u201c (AS 2018: 1). Dass diese Rechnung nicht aufgehen wird, wurde sp\u00e4testens Ende Februar 2021 offiziell. In einer InfoMail warnte der allgemeine Studierendenausschuss (AStA) (2021a) der Universit\u00e4t mit dem Titel \u201eDie H\u00fctte brennt!\u201c vor den dramatischen K\u00fcrzungen im Wissenschaftsplan aufgrund fehlender Steuereinnahmen und Aufhebung der Schuldenbremse. Rund 170 Millionen Euro weniger als im Wissenschaftsplan 2025 vorgesehen sollten die Bremer Hochschulen bekommen, 102 Millionen Euro entfallen davon auf die Universit\u00e4t (Schnackenburg 2021). Der Doppelhaushaltsplan 2022\/23 inklusive \u201eehrgeizige[m] Ausbaupfad\u201c (Theiner 2021a) des Wissenschaftssektors ist damit eine Makulatur. Anerkennung der Leistungen in Lehre und Forschung adieu!<\/p>\n\n\n\n
Die geplanten K\u00fcrzungen h\u00e4tten die sowieso schon prek\u00e4re Lage noch verschlimmert. In einem Offenen Brief der Hochschulleitung und des Personalrats an den Senat wird kritisiert, dass die Universit\u00e4t bereits jetzt schon an ihren finanziellen Reserven nagt, \u201eFinanzk\u00fcrzungen bedrohen zwangsl\u00e4ufig die Existenz einzelner Studieng\u00e4nge und F\u00e4cher\u201c (Ruge et al. 2021). Der Wissenschaftsplan 2025 sollte Bremen lediglich an den Bundesdurchschnitt der Ausgaben pro Studierende heranf\u00fchren. \u201eDeutliche Ressourcensteigerungen\u201c (AS 2018: 1) h\u00e4tten keinen Aufschwung bedeutet, sondern lediglich die Finanzierung laufender Kosten (Ruge 2021). Deren Streichung w\u00fcrde Einstellungsstopp bedeuten, keine Wiederbesetzung freiwerdender Stellen und keine Verl\u00e4ngerung befristeter Stellen sowie eine gravierende Verschlechterung der derzeitigen Besch\u00e4ftigungsbedingungen aller Statusgruppen, welche w\u00e4ren: noch h\u00f6herer Arbeitsanfall, schlechtere Ausstattung, keine Entlastungsm\u00f6glichkeiten. \u201eDie Universit\u00e4t als ein positiver Asset des Landes, die jetzige Studierendengeneration und mittel- und langfristig das Land w\u00fcrden massiv Schaden nehmen\u201c (Ruge et al. 2021).<\/p>\n\n\n\n
Betrachtet man die jeweiligen Akteure in diesem Protest, ergibt sich eine fast schon \u00fcberraschende Konstellation: die Hochschulleitung und der AStA stehen mit ihren Forderungen gemeinsam dem Senat und den B\u00fcrgerschaftsfraktionen gegen\u00fcber. Das war nicht immer so. Traditionell befinden sich Rektorat und Studierende in einem eher antagonistischen Verh\u00e4ltnis zueinander, vor allem wenn es um Einsparungen im Wissenschaftsplan geht. In einer Informationsbrosch\u00fcre des AStAs (2014) zum Aufruf zum Protest gegen K\u00fcrzungen im Wissenschaftsplan 2020 warf der AStA dem Rektorat vor, dass es sich \u201ezwar betreten gegen\u00fcber uns Studierenden [gab], [\u2026] aber von Anfang an zu Bildungs- und Wissenschaftssenatorin Quante-Brandt [gehalten habe]\u201c (AStA 2014). Augenscheinlich k\u00e4mpfen der AStA und die Hochschulleitung im aktuellen Protest f\u00fcr dieselben Ziele und erg\u00e4nzen sich in ihren Aktionsformen zum Wohle der finanziellen Existenz der Universit\u00e4t. Dieser Post m\u00f6chte sich daher mit der Frage besch\u00e4ftigen, ob die beiden sozialen Akteure laut des Konzepts in der Bewegungsforschung als ein ‘kollektiver Akteur’ bezeichnet werden k\u00f6nnen.<\/p>\n\n\n\n
F\u00fcr das methodische Vorgehen werden Annahmen aus der Bewegungsforschung getroffen, welche am konkreten Fall des Protests gegen die K\u00fcrzungen im Wissenschaftsplan 2025 \u00fcberpr\u00fcft werden. Ein Vertreter der Bewegungsforschung ist Alberto Melucci (1995), dessen konstruktivistisches Konzept der Kollektiven Identit\u00e4t<\/em> f\u00fcr diese Untersuchung geeignet erschien. Im Aufsatz “The Process of Collective Identity” setzt er sich u.a. mit den Fragen auseinander, ab wann soziale Akteure gemeinsam handlungsf\u00e4hig werden, welche Kriterien daf\u00fcr eingehalten sein m\u00fcssen und welche spezifischen Merkmale eines Kollektivs<\/em> sich daraus ergeben. Melucci unterscheidet sich dabei vor allem von anderen Vertreter*Innen des Konzepts kollektiver Identit\u00e4ten, indem er sie als Werkzeuge betrachtet, um die Entstehung, Ver\u00e4nderung und die Dauer von sozialen Bewegungen zu analysieren (Haunss 2001: 262). Laut Melucci (1995: 43f) konstituiert sich ein handlungsf\u00e4higes ‘Wir’, wenn soziale Akteure sich in drei Grundorientierungen \u00fcbereinstimmen: in ihrem Ziel bzw. Sinn einer Aktion, ihren M\u00f6glichkeiten und Grenzen bzw. Mittel einer Aktion und ihrer Positionierung im Konfliktfeld. F\u00fcr die vorliegende Untersuchung werden die Aspekte folgenderweise operationalisiert: (1) besteht eine \u00dcbereinstimmung beider Akteure in ihrem Ziel bzw. der Sinn einer Aktion, in diesem Falle das Zur\u00fcckziehen der geplanten K\u00fcrzungen im Wissenschaftsplan 2025 seitens des Senats, ist die erste Annahme erf\u00fcllt. (2) Erkennen beide ihre M\u00f6glichkeiten und Grenzen bzw. Mittel der Protestaktion an bzw. k\u00f6nnen die vielen Aktionsformen mit unterschiedlichen Aktionslevels miteinander koexistieren, sodass es zu einer effektiven Arbeitsteilung kommt, ist die zweite Annahme erf\u00fcllt. Diese dr\u00fcckt sich am konkreten Fall aus durch die Wahrnehmung verschiedener Mobilisierungsformen, wie \u00f6ffentliche Aufrufe zur Protestteilnahme durch Social Media und Emails, Unterschriftensammlung und das Verfassen von \u00f6ffentlichen Briefen, sowie die physische Aktionsform der Kundgebung. (3) Die dritte Annahme, die \u00dcbereinstimmung der Protestakteure bzgl. ihrer Positionierung im Konfliktfeld, wird erf\u00fcllt, wenn sich das Rektorat sowie die Studierendenschaft repr. vom AStA beide eindeutig gegen\u00fcber dem Senat positionieren, d.h. sich gemeinsam gegen diesen solidarisieren, um als starke “Einheit” handlungsf\u00e4hig zu werden.<\/p>\n\n\n\n Ob aus dieser konstruktivistischen Perspektive die Hochschulleitung und die Studierenden (in Repr\u00e4sentation des AStA inkl. des Aktivenplenums) als kollektiver Akteur bezeichnet werden k\u00f6nnen, soll in diesem Post untersucht werden. Zun\u00e4chst wird eine thematische Basis geschaffen, um auf dieser die genannten Punkte zu diskutieren. Im folgenden Kapitel wird daher der Wissenschaftsplan 2025 erl\u00e4utert, um anschlie\u00dfend einen \u00dcberblick \u00fcber den bisherigen Protest-Ablauf zu geben. Im Kapitel 3 wird sich der Frage gewidmet, ob es sich bei den beiden untersuchten Akteuren um einen kollektiven Akteur handelt. Das letzte Kapitel bietet einen kleinen Ausblick des Protests. Da der Protest immer noch l\u00e4uft und stetig neue Beitr\u00e4ge und Entwicklungen ver\u00f6ffentlicht werden, war es leider nicht m\u00f6glich, alle Entwicklungen zum Protest in diesem Post zu dokumentieren, die genannten Aktionen und Stellungnahmen sind lediglich als Auswahl zu betrachten. Der Fokus der untersuchten Hochschul-Akteure liegt zudem auf der Universit\u00e4t Bremen. Aktuelle, hochschul\u00fcbergreifende Informationen und Pressemitteilungen sowie weitere relevante Beitr\u00e4ge zum Thema sind am Seitenende verlinkt.<\/p>\n\n\n\n Der Wissenschaftsplan beschreibt die Entwicklungslinien f\u00fcr die Wissenschaftseinrichtungen und definiert Ma\u00dfgaben f\u00fcr die Hochschulentwicklung und Arbeitsschwerpunkte. Dar\u00fcber hinaus gibt er den finanziellen und strukturellen Rahmen f\u00fcr die Weiterentwicklung der Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen (Die Senatorin f\u00fcr Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz). Die Schwerpunkte werden dabei jedoch an \u00fcberwiegend \u00f6konomischen Ma\u00dfst\u00e4ben ausgerichtet, z.B. wie drittmittelstark ein Studiengang ist oder welchen Platz er im CHE-Ranking einnimmt. Weitere Kriterien sind Internationale Sichtbarkeit und exzellente Grundlagenforschung (AStA 2014).<\/p>\n\n\n\n Der aktuelle Wissenschaftsplan 2025 wurde im Februar 2019 unter Mitarbeit der Hochschulen entworfen und vom Senat und der Opposition gleicherma\u00dfen erfreut beschlossen (Theiner 2021a). Kernziele waren u.a. der Ausbau neuer Studienpl\u00e4tze und innovativer Studienangebote sowie die Schaffung neuer wissenschaftlicher Arbeitspl\u00e4tze, wozu die finanzielle Grundausstattung der staatlichen Hochschulen schrittweise angehoben werden sollte, um den Anschluss an den Bundesdurchschnitt herzustellen (Die Senatorin f\u00fcr Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz 2019: 14). Finanzpolitisch schien das Programm zwar ambitioniert, aber machbar aufgrund der Neuregelung des Bund-L\u00e4nder-Finanzausgleichs, welcher zus\u00e4tzliche Spielr\u00e4ume verschaffte (Theiner 2021a). Die Landes-ASten-Konferenz Bremen (LAK) hat kurz darauf bereits die monet\u00e4ren Versprechen in einer Stellungnahme misstrauisch be\u00e4ugt. Die in Aussicht gestellten Mittel w\u00fcrden \u201e1) weder den von der Senatorin selbst gesteckten Zielen entsprechen 2) noch dem dringenden Bedarf \u2013 sprich dem Schaden, gerecht werden, den der rot-gr\u00fcne Sparkurs in den letzten zwei Jahrzehnten angerichtet hat\u201c (AStA 2019). Sie bef\u00fcrchteten eine ledigliche Fortschreibung bestehender Verh\u00e4ltnisse.<\/p>\n\n\n\n Am 27. Februar, eine Woche vor der richtungsweisenden Haushaltsklausur des Senats, wurde in einem Artikel des Weser Kuriers bekannt, dass die wirtschaftlichen Einschnitte in der Landeskasse durch die Corona-Pandemie vor allem auf Kosten des Wissenschaftssektors gehen sollten (Theiner 2021a). In derselben Ausgabe wurde bereits das \u201eSpardiktat\u201c in einem Kommentar kritisiert (Theiner 2021b). In den folgenden Tagen wurde das Thema von einer zunehmend breiten \u00d6ffentlichkeit diskutiert.<\/p>\n\n\n\n Der AStA der Universit\u00e4t Bremen schickte am 1. M\u00e4rz eine Mail an alle Studierenden, in der vor den K\u00fcrzungen gewarnt und zum Protest am 6. M\u00e4rz aufgerufen wurde. Dem Aufruf Die H\u00fctte brennt!<\/em> folgten an dem Tag \u00fcber 450 Demonstrierende, meist Studierende, aufgrund der coronabedingt festgelegten Teilnehmer*innen-Zahl wurde ein Zoom-Meeting zur Live-Verfolgung eingerichtet. Die Hochschulleitung verfasste einen Offenen Brief an den B\u00fcrgermeister, Lehrende und Forschende der bremischen Hochschulen starteten eine Unterschriftenaktion. Die Forderungen des AStAs wurden, wie hier<\/a> auf Instagram, folgenderweise formuliert:<\/p>\n\n\n\n Parallel dazu wurde appelliert zur Beteiligung am Aktiven-Plenum, um bei der Organisation der Kundgebung mitzuhelfen. Tags darauf wurde eine gemeinsame Pressemitteilung aller ASten ver\u00f6ffentlicht, wo die K\u00fcrzungen nochmals scharf kritisiert wurden aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Mittelbau der Hochschulen und auf die bereits schon schwierigen Arbeits- und Studienbedingungen, die die Existenzen der Hochschulen zwangsl\u00e4ufig bedrohen werden (LAK 2021). Am 3. M\u00e4rz setzte die Universit\u00e4tsleitung zusammen mit dem Personalrat einen Offenen Brief an den B\u00fcrgermeister Andreas Bovenschulte auf, Lehrende und Forschende der Bremer Hochschulen starteten eine Unterschriften-Aktion. Der AStA der Universit\u00e4t postete, nun gemeinsam mit der Tarifgemeinschaftsinitiative TVStud Bremen, auf Instagram den Aufruf zur Demonstration. Ein Artikel im Weser-Kurier berichtete \u00fcber die lauter werdende Kritik von Hochschulleitungen und Studierenden (Sundermann 2021). Am 4. M\u00e4rz berichtete auch die taz \u00fcber die drohenden K\u00fcrzungen und den geplanten Protest (Zuschlag 2021). Die Jusos Bremen forderten die SPD im Land Bremen f\u00fcr eine Aufhebung der Schuldenbremse auf, um die ungleiche Lastenverteilung zu verhindern (Jusos 2021), Uwe A. Nullmeyer vom Vorstand der Unifreunde sprach von einem \u201aVertrauensverlust\u2018, der durch das K\u00fcrzungsvorhaben ausgel\u00f6st werde (Sundermann 2021), der Rektor der Universit\u00e4t betonte in einem Interview nochmal die existenzielle Gefahr eines Bruchs des Zukunftsvertrags \u201eStudium und Lehre st\u00e4rken\u201c, womit neben den Landesmitteln auch die Bundesmittel wegfallen (Wiarda 2021). An dem Tag wurde zudem, initiiert von ver.di und GEW Bremen, das \u201eBremische B\u00fcndnis f\u00fcr Wissenschaft\u201c gegr\u00fcndet. In einem Offenen Brief an den Senat und die B\u00fcrgerschaft (siehe Bild 3) solidarisieren sie sich mit den Studierenden und unterst\u00fctzen mit einer Petition sowohl den studentischen Aufruf zur Demonstration als auch den gemeinsamen Offenen Brief des Rektors und dem Personalratsvorsitzenden an den B\u00fcrgermeister (Bremisches B\u00fcndnis f\u00fcr Wissenschaft 2021). Mails des AStA mit Informationen zur Demonstration wurden von den verschiedenen Studierendenvertretungen weitergeleitet. Am 6. M\u00e4rz fand um 10 Uhr die Demonstration auf dem Marktplatz vor der B\u00fcrgerschaft statt. Redebeitr\u00e4ge der Kundgebung stammten u.a. von der LAK, den Personalr\u00e4ten der Hochschulen sowie der GEW Bremen.<\/p>\n\n\n\n2 <\/strong>Der aktuelle Protest<\/strong><\/h1>\n\n\n\n
2.1 <\/strong>Was ist der Wissenschaftsplan 2025?<\/strong><\/h2>\n\n\n\n
2.2 <\/strong>Wie ist die Organisation des Protests abgelaufen?<\/strong><\/h2>\n\n\n\n